Ein Papst, der das Streiten lehrte
ZEIT ONLINE:
Auf fromme, zuweilen theatralische Weise hat Benedikt XVI. das Land von Finanzkrise und Krieg abgelenkt. Gut so, dass er uns fragen ließ, woher wir kommen.
Vielleicht sollten wir zum Schluss dieser Papstreise einmal von ihrem wichtigsten Anlass sprechen, der in den Zeitungskommentaren peinlich vermieden wurde und auch bei uns noch nicht vorkam: Gott. Wer in der Gottesfrage der Wahrheit die Ehre geben will, kann sagen: Die Frage ist niemals beantwortbar, weil sie die Grenzen des menschlichen Vermögens überschreitet. Deshalb wäre Agnostizismus die einzig richtige Haltung zu Gott, Papst und Welt. Mit den Worten eines der prominentesten deutschen Theologen der Gegenwart: Die Ansicht, dass Gottes Existenz nicht erkennbar ist, wirkt "seinsgemäß, ehrlich, ja fromm – in Anerkennung dessen, wo unser Blickfeld endet."
Der Theologe ist natürlich niemand anders als Joseph Ratzinger, der in Sachen Gotteszweifel sogar noch weiter gegangen ist und über den Atheismus (als sozusagen gesteigerten Agnostizismus) einmal gesagt hat, er sei religionsgeschichtlich unverzichtbar als Protest gegen menschliche Verabsolutierungen, als Warnung vor dem Unwesen der Religion und als Chance, "die Religion auch als große Gefährdung des Menschen" zu erkennen. An solche Sätze darf man jetzt noch einmal erinnern, um zu verstehen, warum dieser deutsche Papst trotz aller ungeklärten Streitfragen, trotz aller brennenden Existenzprobleme des Katholizismus, in den letzten Tagen bei vielen Deutschen solchen Eindruck machte.
Benedikt XVI. ist eben kein naiver Religionsführer, kein bloß reaktionärer Oberbischof von Rom, sondern ein veritabler Denker, der das Unzeitgemäße seines Glaubens sieht und die alte Idee eines guten gerechten Gottes für die Gegenwart retten will. Diese Idee hat er jetzt an verschiedensten Orten vor verschiedenstem Publikum in gut einem Dutzend Ansprachen neu durchbuchstabiert.
Dabei argumentierte er keineswegs nur fromm, sondern auch in dem Wissen, dass viele seiner Zuhörer Gott bestenfalls für eine schöne Illusion halten. An einigen Stellen hat der Papst dies leicht melancholisch beklagt, aber er hat uns nie angeklagt und er hat der gottlosen Gesellschaft auch nicht mit jenseitigen Konsequenzen gedroht, wie es traditionsgemäß zum Amt der Geistlichen gehörte. Nein, Benedikts Reden waren der Versuch, in der Sache zu überzeugen statt von oben herab zu missionieren. Deshalb konnte man, egal ob Atheist, Agnostiker oder Glaubender, seinen Reflexionen über die Möglichkeiten des Menschseins etwas abgewinnen.
» | Von Evelyn Finger | Montag 26. September 2011