In einem fremden KleidEine afghanische Burka. Bild: NZZ OnlineNZZ am SONNTAG:
Der Schleier ist im Westen Symbol von Fundamentalismus und Unterdrückung der Frau. Die Debatte über ein Verbot ist im Gang. Wie ist es in der Schweiz, eine Burka zu tragen? Ein Tag undercover.Das Tram ist voll. Sie sitzt am Fenster. Draussen flirren Häuserfassaden vorbei. Der nächste Halt. Leute steigen ein. Einer, Typ Sportlehrer mit Rucksack, steuert den Sitz neben ihr an. Bis er sie sieht. Dann steuert er doch lieber daran vorbei. Ebenso eine feste Dame, die sich mit einem Gehstock durch den Gang schiebt. Obwohl das Tram schon wieder fährt. Sechs Stationen, der Platz neben ihr bleibt frei.
Umsteigen. Sie geht wie eine Greisin, um ihr Ziel sicher zu erreichen: die Tür. Unten auf dem Trottoir herrscht ein geschäftiges Durcheinander von Moonboots, Stiefeln, Lederschuhen. Es ist ziemlich kalt an diesem Morgen. Einen Fuss auf die erste Stufe, den anderen auf die zweite. So weit, so gut. Keine dreissig Sekunden vergehen, dann schreit eine sehr kleine Frau mit einer sehr grossen Sonnenbrille in ihr Gesicht: «Gopfertami!» Was ist passiert? Sie sind zusammengeprallt. Versehentlich.
Einen Tag lang bin ich in Zürich unterwegs, fahre Tram, gehe in den Strassen, kaufe ein, in der Apotheke, der Migros. Nichts Besonderes. Besonders aber ist meine Erscheinung: total verhüllt. Über Thermohosen trage ich einen Rock und über dem Rock eine Burka. Eine afghanische, um genau zu sein: blau, hinten boden-, vorne hüftlang, aus einem synthetischen, bestickten Stoff. Mein Gesicht ist bedeckt. Sogar die Augenpartie, wo sich ein Fliegengitter-artiges Fenster befindet. Ein Kollege hat sie an Kabuls «Chicken Street» gekauft, einem Hippieparadies, vor der Herrschaft der Taliban.
«Salam alaikum»Eigentlich hätte ich sie daheim ein bisschen tragen wollen. Zur Vorbereitung. Habe ich dann doch immer irgendwie aufgeschoben. Wahrscheinlich weil dieser Fetzen Stoff alles ist, was mir, meiner Kultur, meinem Geschlecht, meiner Generation fremd ist. Freiheit? Gleichberechtigung? Selbstverständlich. Wie das Studieren an der Uni oder das Ausüben eines Berufs, den wir uns aussuchen. Niemand sonst. Schon gar nicht ein Mann. Selbstverwirklichung ist unsere Religion. Vielleicht auch Liebe. Trotzdem oder gerade deshalb will ich wissen: Wie ist es, eine Burka zu tragen? In einer Zeit, in der man sich wieder besonders ängstigt vor islamischem Fundamentalismus. In einem Land, dessen Mehrheit schon allein gegen den Bau von Minaretten stimmt. Das nun darüber debattiert, auch dieses Gewand nicht mehr zu tolerieren.
>>> Von Carole Koch | Sonntag, 10. Januar 2010