NZZ ONLINE: In der Diskussion um das Burka-Verbot prallen unterschiedlichste Argumentationsweisen und Interessenlagen aufeinander. Der auf beiden Seiten öfters spürbare missionarische Eifer droht den Blick dafür zu verstellen, dass ein Aufklärungsprozess nur wirksam sein kann, wenn er sich von innen heraus entwickelt.
Als Charles-Louis de Secondat, besser bekannt unter dem Titel des Barons de Montesquieu, im Jahr 1721 seine «Lettres Persanes» publizieren liess, leitete die europäische Aufklärung den Prozess ihrer kulturellen Selbstbefragung ein. Denn der Verfasser, der hier aus guten Gründen anonym bleiben wollte, richtete seinen kritischen Blick auf die Sitten und Gebräuche der Grande Nation, die sich damals schon gerne als den Nabel der Welt verstand. Montesquieus Kunstgriff machte Schule: Er bestand darin, dass zwei fiktive Perser in einer Reihe von Briefen untereinander und an Freunde in der Heimat darüber berichteten, was sie auf ihrer Reise erlebten. Die Route führte von Isfahan über Smyrna nach Italien und schliesslich rasch nach Paris. Rica und Usbek, begabt mit wachen Sinnen, fanden reichlich Stoff zur Verwunderung über das Leben der Franzosen wie über politische und religiöse Verhaltensweisen. Beiträge zur Selbstkritik >>> Von Martin Meyer | Samstag, 29. Mai 2010