NZZ ONLINE: Frankreichs Diskussion um die Vollverschleierung muslimischer Frauen muss in der geistigen Tradition von «1789» gesehen werden. Die Nation besteht aus freien Bürgern. Das kommt im Kontakt mit dem Staat in offenen Gesichtern zum Ausdruck.
Die Szene bleibt unvergesslich: Anlässlich der Pariser «Street Parade» rennt eine junge Frau auf die in voller Montur aufmarschierte Bereitschaftspolizei zu, dreht sich um und entblösst in dreister Hocke ihren Hintern. Umgehend umzingeln die Ordnungshüter die Demonstrantin und nehmen sie eingeübt in Gewahrsam. Die Freiheit und die offene Gesellschaft brauchen, das ist wenig bestritten, immer moralische Bindungen, mitunter gar staatliche Regeln.
Keine Zwischenmächte
Undenkbar indessen wäre, dass der französische Staat in ähnlicher Weise in Polizeiformation gegen eine die Burka oder den Niqab tragende Frau vorginge. Und doch wird über ein Verbot dieser Ganzkörperschleier in Frankreich derzeit diskutiert. Dabei steht weniger ein allgemeines Verbot im Vordergrund als eine Einschränkung dort, wo der Bürger mit dem Staat in direkten Kontakt tritt. Es geht nicht einfach darum, ein in der Öffentlichkeit seltenes, unerwünschtes Kleidungsstück zu verbannen, sondern darum, einem emanzipatorischen Freiheitsrecht Ausdruck zu verleihen. >>> Manfred Rist, Paris | Freitag, 19. Februar 2010