Nicht ohne beklemmende Gefühle - doch sein Kumpel, die Erwachsenen um ihn, selbst die Polizei, sie alle befürworteten die Übergriffe gegen die jüdische Bevölkerung. Erst mit dem Abstand vieler Jahre realisierte er, in welch verkehrter Welt er damals großgeworden ist.
Lamprecht erläutert und kommentiert diesen Wendepunkt, der vor 75 Jahren den Einbruch der Barbarei in die deutsche Gesellschaft markierte, in ungeschönter Offenheit und zugleich mit ungläubigem Erstaunen darüber, wie einst angesehene Mitbürger nun unbeschränkter Gewalt und Willkür ausgeliefert waren. Auf Geheiß der NS-Führung wurden um den 9. November 1938 an die 400 Deutsche erschossen, erschlagen oder in den Tod getrieben, nur weil sie als Juden gebrandmarkt waren. Unbescholtene jüdische Mitmenschen, auch Frauen, Kinder, Greise, wurden gequält und gedemütigt, 30 000 Männer in Konzentrationslager verfrachtet - oft ohne Wiederkehr. Die staatlich angestifteten Täter verwüsteten 1400 jüdische Gotteshäuser und setzten sie in Brand, demolierten und plünderten 7500 Geschäfte.
Wie war ein derartiger Exzess der Gewalt gegen Mitbewohner, frühere Arbeitskollegen, Nachbarn in einem zivilisierten Land möglich? Was trieb die Täter an, die meist aus der Mitte der Gesellschaft kamen? Wie erlebten die unmittelbar Betroffenen den archaischen Sturm der Erniedrigung und Verfolgung, der kalt-kalkulierend auf die Vertreibung und Enteignung der gesamten jüdischen Bevölkerung in Deutschland zielte?
Die historische Dokumentation beschreibt die Ereignisse aus dem Blickwinkel von Beteiligten und Beobachtern, auf der Seite der Opfer und der Täter. Beklemmende, teils bisher unveröffentlichte Archivaufnahmen vermitteln ein Bild von Gleichgültigkeit und Zustimmung zu den beispiellosen Vorgängen. Spielszenen geben wieder, was Menschen damals erleiden mussten und wie sie in den Sog der Gewalt gerieten.
Neben Günter Lamprecht berichten Georg Stefan Troller, damals in Wien, und Rolf Abrahamsohn, damals in Marl, wie sie die Zeitenwende am eigenen Leib erlebten. Auch Rudolf van Nahl, der an jenem Novembertag mit seinem Sankt-Martins-Lampion vor der lichterloh brennenden Synagoge seines rheinischen Heimatortes Alpen stand, bestätigt in der Rückschau: All das geschah mitten im Leben, im ganzen Land, vor aller Augen. Allen, die ihn erlebten, hat sich der deutsche Schicksalstag in die Erinnerung eingebrannt. Günter Lamprecht hat sich bis heute seine Empörung bewahrt, wann immer simple Parolen und uniformes Verhalten mitmenschliche Empfindungen verdrängen.
Film von Peter Hartl und Gordian Maugg