WELT ONLINE: Die EU wächst und wächst, aber stärker wird sie nicht. Wenig könnte das deutlicher machen als die beiden neuen Funktionsträger der Union. Herman Van Rompuy und Baronin Ashton of Upholland gehören dem Typus Zellophan-Politiker an: Ernst und gewissenhaft, aber so unscheinbar, dass man sie kaum wahrnimmt.
In dem Musical „Chicago“ gibt es eine wahrlich triste Figur – den Mann von Roxy Hart, der Hauptdarstellerin. Mr. Hart ist ein total unscheinbarer Mensch, lieb bis zur Selbstverleugnung, aber niemand nimmt irgendwie Notiz von ihm. In einer ergreifend anrührend gesungenen Nummer nennt er sich daher „Mr. Cellophane“, Mister Zellophan. Man sieht förmlich durch mich hindurch, klagt er, als gebe es mich nicht, man geht achtlos an mir vorbei wie an einem Phantom.
Dieses Bild fällt einem ein, wenn man an die beiden neuen Funktionsträger der EU denkt, den Präsidenten sowie die Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik. Herman Van Rompuy und Baronin Ashton of Upholland werden pflichtbewusst an ihre Arbeit gehen, wie Catherine Ashton bei ihrer Anhörung im Brüsseler Parlament gestern glaubhaft bekannte. Dem europäischen Demos freilich wird ihre Tätigkeit weitgehend schleierhaft bleiben, weil sie sich im Herzen einer Bürokratie abspielt, die mit jedem neuen EU-Vertrag undurchsichtiger und entrückter geworden ist.
Fragt man die Briten, ob sie schon einmal von Lady Ashton – und sie war eine echte, mit Sitz im Oberhaus – gehört hätten, wird man in 99 von 100 Fällen zur Antwort bekommen: Wie bitte – Catherine who? Lady Zellophan könnte sich durch die Menge bewegen, und niemand würde von ihr Notiz nehmen. Die Hoffnung, ihre Kandidatur könnte die Briten wenigstens mit ein wenig Stolz erfüllen und das Land damit etwas enger an die EU gebunden haben, ist weit gefehlt. >>> Von Thomas Kielinger | Dienstag, 12. Januar 2010