Monday, January 25, 2010


Türkei-Experte im Interview: "Erdogan kehrt zurück zu muslimischen Instinkten"

WELT ONLINE: In den 90er-Jahren galt der gegenwärtige türkische Ministerpräsident Erdogan als islamischer Fundamentalist. Danach erfand er sich neu als pro-europäischer Modernisierer. Im WELT-ONLINE-Interview erklärt Türkei-Experte Gareth Jenkins, warum Erdogan inzwischen wieder in Richtung Islam tendiert.

WELT ONLINE: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan galt in den 80er- und frühen 90er-Jahren als islamischer Fundamentalist. Später gab er sich moderat, pro-westlich, und stritt ab, dass der Islam zu seiner politischen Identität gehöre. Wo steht er heute? Hat er sich schon wieder geändert?

Gareth Jenkins: Er hat sich damals geändert, aber nicht so sehr, wie ein naiver Westen das glauben wollte. Ich denke, er hat nie wirklich die Idee verinnerlicht, dass es eine Gleichberechtigung geben sollte zwischen den Kulturen und Religionen. Fundamentalismus war in der Türkei immer etwas Anderes als beispielsweise in arabischen Ländern, es hatte mehr mit kultureller Identität zu tun als mit Scharia. Seit 2007 kehrt Erdogan zunehmend zu dieser Suche nach einer muslimischen Identität zurück. Es ist eine instinktive Rückkehr zu seinen ursprünglichen Werten.

WELT ONLINE: Warum?

Jenkins: Erdogan und die AKP waren naiv in ihrem Bestreben, der EU beitreten zu wollen. Sie verstanden nicht, was die EU ist, sie wollten eigentlich der EU ihrer Fantasie beitreten. Die Realität hat sie enttäuscht, auch die Erfahrung mit anti-islamischen Gefühlen im Westen. So kehren sie zurück zu dem, was sie ursprünglich wollten, es ist auch eine Hinwendung zu den muslimischen Ländern, die einst zum osmanischen Reich gehörten. >>> Von Boris Kalnoky | Montag, 25. Januar 2010