Monday, December 19, 2011

Streit in der EU: Westerwelle umschmeichelt die Briten

SPIEGEL ONLINE: Er bemüht sich, Brücken zu bauen. Nach dem britischen Veto beim EU-Gipfel wollte Außenminister Westerwelle in London zeigen, dass Großbritannien ein wichtiger EU-Partner bleibt. Doch die Pressekonferenz verlief nicht pannenfrei - und die Engländer beharren auf dem Nein zur Fiskalunion.

"Don't mention the war", lautet die Grundregel für deutsche Besucher in Großbritannien. Das hinderte Außenminister Guido Westerwelle nicht daran, bei seinem London-Besuch am Montag ausführlich über seine prägenden Kindheitserlebnisse im Nachkriegseuropa zu berichten.


In den siebziger Jahren sei er mit zwei Schulfreunden zum Zelten in der Bretagne gewesen, erzählte er staunenden britischen Journalisten in einer Pressekonferenz. Als sie sich in einem Tante-Emma-Laden eindecken wollten, brach die französische Inhaberin in Tränen aus und verschwand, als sie den starken deutschen Akzent des Teenagers hörte. Kurz darauf erschien ihre Tochter und erklärte den verdutzten Jungs, sie sollten es nicht persönlich nehmen, ihr Vater sei im Krieg von den Deutschen getötet worden.

Westerwelle erzählte die Anekdote - und eine weitere über die Berliner Mauer -, um den Briten die Bedeutung der EU aus deutscher Sicht zu erklären. "Bitte verstehen Sie: Für uns ist Europa mehr als eine Währung oder ein gemeinsamer Markt", sagte der Liberale in fließendem Englisch. "Wir wollen eine politische Union".

Die britischen Zuhörer schwiegen betreten, das Wort "politische Union" ist auf der Insel eine Chiffre für EU-Diktatur. Gastgeber William Hague, britischer Außenminister und führender Euro-Skeptiker, lobte pflichtschuldig den "eindringlichen" Beitrag seines deutschen Kollegen. Doch verzichtete er selbst komplett auf Pathos, als er das britische Verhältnis zu Europa beschrieb. Gemeinsam mit den Deutschen wolle man für mehr Wettbewerb im Binnenmarkt kämpfen, sagte Hague. Man plane eine Reihe von neuen Initiativen.

In den beiden Aussagen wurde das ganze Ausmaß der Entfremdung zwischen Kontinentaleuropa und Großbritannien deutlich. Die einen betrachten die EU als Schicksalsgemeinschaft, die anderen sehen nichts als einen großen Absatzmarkt. Und an diesem fundamentalen Unterschied, das machte die Pressekonferenz deutlich, wird sich auch künftig nichts ändern. » | Von Carsten Volkery, London | Montag 19. Dezember 2011