FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: Von Belarus bis zur ukrainischen Hauptstadt Kiew müssten Putins Panzer nur 80 Kilometer fahren. Die Familien in der Metropole machen sich bereit für den Krieg.
Wenn Krieg droht, wogen die Gefühle durcheinander. Maria Symtschytsch, ihr Mann Wolodymyr und die drei Kinder haben diese Erfahrung in den letzten Tagen gemacht. Russland zieht rund um die Ukraine Soldaten zusammen. Sollten Präsident Putins Bodentruppen vom Norden her vorrücken, etwa vom Gebiet ihres Verbündeten Belarus her, vorbei an der verstrahlten Zone von Tschernobyl, würden sie nach etwa achtzig Kilometern die Hauptstadt Kiew erreichen.
Obolon ist ein Stadtbezirk im Kiewer Norden, da, wo die Panzer dann auf die Hauptstadt träfen. Er ist bekannt für das hier gebraute Bier gleichen Namens. Hier lebt Familie Symtschytsch. In einem achtstöckigen Wohnblock, Baujahr 1978, besitzt sie eine Eigentumswohnung. Sohn Iwan ist schon erwachsen, Solomija ist neun, Marko sieben Jahre alt. Die schwarze Katze Warwara wirkt jung, ist aber schon 13.
In dieser Woche haben die Kinder der Familie neue Erfahrungen gemacht. Ihre Mutter Maria, genannt Mascha, arbeitet als Fotografin für internationale Bildagenturen. Jetzt hat sie sich hingesetzt und erzählt: „Krieg oder Nichtkrieg, das war diese Woche das große Thema, auch für die Kinder. Gestern kam Marko nach Hause und verkündete voller Überzeugung: Putin wird nicht angreifen. Er wird müde werden, er wird im Schlamm stecken bleiben. Solomija war skeptischer und zugleich konkreter. Sie sagte: Wenn wir im Bunker sitzen, dürfen wir nicht schreien. Denn wer schreit, verbraucht mehr Sauerstoff.“ » | Von Gerhard Gnauck, Politischer Korrespondent für Polen, die Ukraine, Estland, Lettland und Litauen mit Sitz in Warschau. | Samstag, 19. Februar 2022
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