NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: Als die Taliban am 15. August Kabul einnahmen, endete mehr als nur ein langer Krieg.
Der letzte Auftritt von Meraj Wafa mit seiner Band endet früher als geplant. Es ist fast Mitternacht in Kabul, der Heiratsschwur ist bereits gesprochen, die Gäste haben gegessen und sogar noch etwas getanzt, aber die Stimmung ist nicht so, wie es sich für eine Hochzeit gehört. Wie an jedem Fest, das eine Zäsur im Leben markiert, redet man zwar auch hier von dem, was noch kommt. Aber die Gespräche handeln nicht von Hochzeitsreisen, Flitterwochen und Wünschen für eine neue Familie. Sondern von bärtigen Männern mit Turbanen, die angeblich vor der Stadt stehen.
Wenige Wochen zuvor war Meraj Wafa noch im grössten Fernsehsender Afghanistans aufgetreten. Meraj sass am Boden zwischen seinen Musikern und spielte auf einem Handklavier. Das Video auf Youtube wird mehr als eine Million Mal angeschaut. In jenem Afghanistan war die Musik noch am Leben.
Meraj Wafa, das dichte Haar wie ein Helm flach über den Kopf gelegt, stammt aus einer Musikerfamilie, die das alles, was nun folgt, schon einmal erlebt hat. Sein Vater hat ihm erzählt, wie sie flohen, als die Taliban 1996 zum ersten Mal Afghanistan eroberten. Meraj ist 25, zu jung, um sich daran zu erinnern. Für Meraj waren das Geschichten aus einer anderen Zeit und einem anderen Land. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er die Taliban jemals selber erleben würde. Nun, an diesem 14. August, einem Samstagabend, sind sie plötzlich ganz nahe.
Um Mitternacht wird die Hochzeit abgebrochen. Meraj packt die Instrumente ein und fährt nach Hause. Am nächsten Morgen schickt er Mitglieder seiner Band in ihr Büro. Sie sollen dort Plakate abhängen, alles vernichten, was ihre Identität verraten könnte. Dann zieht er eine Burka an und fährt zu seinem ersten Versteck, einem kahlen Kellerraum mit einer Matratze. Von dort ruft er Freunde in Europa an. Sie warnen ihn: Du musst untertauchen, wir suchen einen Weg, dich da herauszuholen. » | Michael Schilliger, Flurin Clalüna, Andrea Spalinger, Andreas Babst | Samstag, 28. August 2021
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