SPIEGEL ONLINE: Der Favorit hat gesiegt: Der Sozialist François Hollande wird neuer französischer Präsident. Doch er wird viele Anhänger bitter enttäuschen müssen. Präsident Hollande hat einen der schwierigsten Jobs der Welt gewonnen.
Bis zum Ende wollte Amtsinhaber Nicolas Sarkozy alle glauben machen, der Ausgang stehe auf Messers Schneide und er könne noch gewinnen. Er hat sich geirrt. Neuer französischer Präsident wird François Hollande. Zum zweiten Mal in der Geschichte der französischen Republik haben die Wähler nach François Mitterrand einen Sozialisten ins Amt gewählt.
Der Sieg Hollandes ist zunächst einmal eine Abrechnung mit Nicolas Sarkozy. In den fünf Jahren seiner Amtszeit ist er, der nach seiner Amtseinführung eine Zustimmungsrate von mehr als 60 Prozent hatte, zum unbeliebtesten Präsidenten der Fünften Republik geworden. Das hängt natürlich auch mit der großen Krise zusammen, die vor ihm bereits neun andere europäische Staatenlenker das Amt gekostet hat. Aber die Ablehnung geht tiefer: Viele Franzosen eint das Gefühl, dass Sarkozy das Amt entweiht habe, dass er sich nicht wie ein würdevoller Ersatzkönig verhalten habe, sondern wie ein Emporkömmling, der sich selbst mit dem Staat verwechselte und sich als eine Art moderner Napoleon gebärdete. Am Ende gab es bis ins bürgerliche Lager viele Franzosen, die ihn regelrecht hassten. Die Wahl Hollandes muss deshalb zunächst als Abwahl des amtierenden Präsidenten verstanden werden. Sarkozy und die Franzosen - das ist die Geschichte einer enttäuschten Liebe, die in ihr Gegenteil umschlug.
Nun wollen die Franzosen nach dem abnormalen wieder einen normalen Präsidenten - und so einer zu sein, das versprach ihnen François Hollande. Es ist noch nicht lange her, da hätte ihm niemand dieses Amt zugetraut. Er galt als weichlicher Witzbold. Einen "Tretbootkapitän" nannte ihn der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon zur allgemeinen Belustigung. Er war ja auch nur die zweite Wahl der Sozialisten, nachdem der große Favorit Dominique Strauss-Kahn im vergangenen Jahr über seine Sexaffären gestolpert war. Doch im Verlauf dieses Wahlkampfs ist es François Hollande gelungen, eine Mehrheit der Franzosen davon zu überzeugen, dass er das Zeug zum Präsidenten hat. Er tankte präsidiale Aura, er hielt Reden, in denen er sich in eine Reihe mit François Mitterrand stellte, und schließlich krönte er sich beim großen TV-Duell gegen Sarkozy selbst. Sogar Sarkozys Freund und Berater Alain Minc sagte neulich: "Wir haben diesen Kerl alle unterschätzt. Entweder haben wir uns getäuscht, oder er hat sich wirklich verändert." Sarkozy hat Hollande bis zum Schluss unterschätzt.
Hollande positionierte sich im Wahlkampf deutlich links: Er kündigte an, Einkommen über eine Million Euro im Jahr mit 75 Prozent zu besteuern. Das Rentenalter für manche Franzosen wieder von 62 auf 60 zu senken. Und er versprach ein Ende der europäischen Austeritätspolitik - er positionierte sich als Gegenstück zu Angela Merkel, und rief seinen Anhängern zu: "So viele Menschen in Europa ersehnen unseren Sieg! Ich will kein Europa der Austerität, in dem Nationen auf die Knie gezwungen werden." » | Eine Analyse von Mathieu von Rohr, Tulle | Sonntag, 06. Mai 2012
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