NZZ ONLINE: Mit dem Nobelpreis hat der weltweite Beifall für US-Präsident Obama einen neuen Höhepunkt erreicht. Doch innenpolitisch steckt Obama im Popularitätstief. Wenn es ihm nicht bald gelingt, sichtbare Erfolge zu erzielen, könnte die Präsidentschaftswahl 2012 für ihn zum Drama werden.
Man kann auch in die Höhe fallen, so wie in die Tiefe», sagte der Dichter Friedrich Hölderlin. Mitunter passiert beides, und zwar nacheinander, wie jetzt bei Obama, dem jungen, charismatischen Politiker, dem Mann mit Visionen, dem brillanten Rhetoriker mit messianischer Aura, der den Wandel predigte und schliesslich, die politische Schwerkraft überwindend, in eineinhalb Jahren vom Jungsenator zum mächtigsten Mann der Welt und Nobelpreisträger in die Höhe fiel.
Die neueste Ehrung potenziert nochmals die Erwartungen an ihn. Er habe seinem Volk «Hoffnung auf eine bessere Zukunft» gegeben, lautet die Begründung in Oslo. Faktisch läuft es für Obama an allen Fronten jedoch zunehmend schlecht, Erwartungen und Erreichtes klaffen je länger je weiter auseinander. Der Fall in die Tiefe, zumindest jene der Umfragen, kam postwendend: Die Zustimmung von anfangs fast 70 Prozent im Februar schrumpfte auf jetzt nur noch gut 50 Prozent. Das ist noch immer massiv besser als die zuletzt nur 22 Prozent Zustimmung für George W. Bush. Aber es schmerzt doch, gerade weil Bush ja die Hauptschuld trifft – hat er seinem Nachfolger doch ein schier unvorstellbares Desaster hinterlassen. Zwei glücklose Kriege, die Wirtschaft im freien Fall, das Ansehen weltweit ruiniert, die Geheimdienste demoralisiert und last, but not least Schulden über Schulden.
Nach hundert Tagen schien die Bilanz Obamas noch glänzend, die Hoffnungen auf ihn mehr als berechtigt: Bankenrettung und Konjunkturprogramm; Politikwechsel um 180 Grad bei Guantánamo, in der Umwelt- und der Sicherheitspolitik; die Subventionsschlucker Chrysler und GM auf Trab gebracht; Charmeoffensive in Europa und im Nahen Osten mit durchschlagendem Erfolg.
Man hat Obama noch im Frühjahr Hyperaktivismus vorgeworfen, er packe zu viel zu rasch an, werde das Tempo nicht durchstehen können. Dies ist wohl nicht das Problem, denn Obama dominiert so gut wie täglich die Medien in den USA und der Welt. Aber die Meldungen werden kritischer, der Präsident muss immer öfter mit Appellen an die Öffentlichkeit, erklären, reparieren, gegensteuern. Die Absage an Chicago bei der Vergabe der Olympischen Spiele – trotz grossem Engagement des Präsidentenehepaars – war nur die letzte in einer Reihe von Niederlagen. Der Nobelpreis lenkt im besten Falle etwas ab; den politischen Alltag mit all seinen Widrigkeiten verändert der Preis nicht. >>> Von Dieter Ruloff | Sonntag, 11. Oktober 2009