Monday, September 21, 2009

Eidgenossen: Das verlorene Paradies

ZEIT ONLINE: Libyens Diktator Gadhafi will die Schweiz unter den Nachbarn aufteilen. Das weckt Urängste der Eidgenossen.

Zwei berühmte Schweizer Berge: Der Eiger (L) und der Mönch (R), zusammen bilden sie das Gebirgsmassiv Jungfrau. Bild: Zeit Online

Auch diesen Sommer gab sich die Elite der Schweiz bei der Eröffnung des Luzerner Klassikfestivals wieder die Ehre. Doch bevor Maestro Claudio Abbado den Taktstock hob, sprang der klein gewachsene Bundespräsident und Finanzminister der Schweiz, Hans-Rudolf Merz, auf die Bühne und sprach ein Grußwort. Die Musik, hob er mit fester Stimme an, spiele heute in Washington, London und Paris. Und da würden nicht etwa Die vier Jahreszeiten und auch nicht Peter und der Wolf gegeben. Dann rief er mit Zornesstimme ins Publikum: »Nein. Heute wird den kleinen Ländern der Marsch geblasen!« Der eruptive Applaus, der diesen Worten folgte, klang, als habe hier einer den Anwesenden aus dem Herzen gesprochen.

Die Schweizer fühlen sich umzingelt von einer Welt, die ihnen nicht nur Gutes will. Aus dem Kleinod im Herzen Europas ist eine Insel der Unglückseligen geworden. Die andern da draußen rütteln an den Grundfesten ihrer Identität, sie wollen dem Finanzplatz an den Kragen. Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück und die amerikanischen Steuerbehörden sind zu Feinden der Schweiz geworden. Auch Kanada, die Türkei und Indien forderten Einzelheiten über die Vermögen, die ihre Landsleute im Alpenstaat angelegt haben. Und der französische Finanzminister behauptete frech, er habe die Daten von 3000 Franzosen, die Kunden bei Schweizer Banken seien.

Das Leben erscheint dem Schweizer heute wie eine Kaskade von Niederlagen.

Und jetzt auch noch Oberst Muammar al-Gadhafi, Libyens Diktator und wütender Vater. Was war geschehen? Die Genfer Kantonspolizei hatte im vergangenen Jahr Gadhafis Sohn Hannibal und dessen Frau Aline im Luxushotel Président Wilson verhaftet. Zwei seiner libyschen Bediensteten hatten den Auslandsaufenthalt genutzt, um gegen ihre Arbeitgeber Anzeige zu erstatten wegen wiederholter körperlicher Misshandlungen. Gadhafi senior reagierte auf die Verhaftung umgehend. Er setzte zwei Schweizer Geschäftsmänner in Libyen fest, drosselte die Erdöllieferungen, zog Milliarden aus der Schweiz ab und stellte den Flugverkehr zwischen den beiden Ländern ein. Dann lieferte er den finalen, den tödlichen Vorstoß.

Am Rande des vergangenen G-8-Gipfels im italienischen LAquila verlangte er, die Schweiz aufzulösen und die einzelnen Landesteile den jeweiligen Nachbarländern zuzuschlagen: die Westschweiz den Franzosen, das Tessin den Italienern und die deutsche Schweiz den Deutschen. Das hatten schon Napoleons Generäle vorgeschlagen. Am 23. September wird Gadhafi vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York sprechen. Die Schweiz zittert schon – und hat drei Bundesräte nach New York beordert, um die drohenden Angriffe zu parieren. Aber das Land fürchtet eine neuerliche Blamage. … >>> Peer Teuwsen | Samstag, 19. September 2009