WELTWOCHE: Der Genfer Theologe Shafique Keshavjee* denkt über die Grenzen des interreligiösen Dialogs nach. Von Stéphane Zindel
Kurz nach Annahme der Minarett-Initiative haben Sie ein Dokument publiziert, in dem Sie die Muslime in der Schweiz auffordern, klarer Position zu beziehen gegenüber problematischen Stellen im Koran und in anderen Referenztexten des Islam. In diesem Dokument geht es unter anderem um die Praxis der Steinigung, die Stellung der Frau und die Rechtfertigung der Gewalt. Was bewog Sie dazu?
Ich war zwar gegen die Minarett-Initiative. Aber ich bin der Auffassung, dass man die Botschaft des Volks ernst nehmen sollte. Insbesondere die muslimische Gemeinschaft sollte das. Das Abstimmungsergebnis ist keine Abwehrreaktion gegenüber den Muslimen im Allgemeinen. Im Islam gibt es aber eine kleine und einflussreiche Minderheit, deren Werte nicht mit unseren in Einklang zu bringen sind. Die Bevölkerung erwartet von den Verantwortlichen der islamischen Zentren, dass sie sich davon klarer abgrenzen.
War der Westen lange zu tolerant gegenüber dem Islam?
Der interreligiöse Dialog liegt mir am Herzen. Ich habe auch viel dafür getan in den letzten Jahren. Jetzt stösst er aber an gewisse Grenzen. Wir waren zu naiv. Der Dialog mit dem Islam darf sich nicht mehr darin erschöpfen, Floskeln in höflichem Ton auszutauschen, die sich auf harmlose Stellen des Korans beziehen. Gut gemeint genügt nicht mehr. Wir müssen über die konkreten Auswirkungen reden und die Realität im Auge haben.
Machen Sie ein Beispiel.
Mohammed ruft die Muslime auf, jene, die sich zu einer anderen Religion bekennen, zu töten. Das ist nicht bloss Theorie. Leute werden wirklich getötet in Ländern, wo dieses Prinzip gilt. Die Imame im Westen versichern, dass dieses Prinzip hier nicht angewendet wird. Aber das genügt nicht. Sie müssten sich auch zum Inhalt äussern und aufzeigen, wie man diese Aussage konstruktiv interpretieren könnte.
Haben Sie ein Beispiel, das in der Schweiz zu konkreten Problemen führt?
Nach muslimischem Recht müssen sich Nichtmuslime zum Islam bekennen, wenn sie eine Muslimin heiraten wollen. In solchen Ehen wird auch grosser Druck auf die Kinder ausgeübt, die ebenfalls zum Islam übertreten sollen. Das führt zu einer schleichenden Islamisierung und ist nicht akzeptabel. >>> Von Stéphane Zindel | Mittwoch, 06. Januar 2010
* Shafique Keshavjee ist Theologieprofessor an den Universitäten von Genf und Lausanne und protestantischer Pfarrer. Er stammt aus Indien, wurde aber in Kenia geboren. Ein Teil seiner Familie gehört der islamisch-schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Zwei seiner Bücher sind auf Deutsch erschienen: «Der König, der Weise und der Narr: Der grosse Wettstreit der Religionen», Goldmann, und «Unterwegs zu einer Sinfonie der Kirchen», Lembeck.