ZEIT ONLINE: Lily will vor der Ehe noch viel erleben. Hossein hält mit seiner Freundin nur heimlich Händchen. Ilias Freundin will in Iran nicht versauern. Vier Frauen und drei Männer erzählen von der Liebe.
"Hast Du schon mal einen Jungen geküsst?", fragt Reza. Reza ist Anfang 30, genau wie ich. Er meint die Frage ernst. Reza lebt in Iran. Dem Land, in dem vorehelicher Sex mit Peitschenhieben bestraft wird, Seitensprünge mit Steinigung.
Reza und ich essen Chorem-e-Sabzi, Spinat mit Fleisch, und sind beim Thema Liebe angelangt. Reza erzählt, dass er noch nie ein Mädchen geküsst hat.
Drei Tage später bittet mich Reza nach dem Mittagsgebet zum Gespräch. Er hat Papier, Stifte und eine Schreibunterlage dabei. Er sitzt mir in der Hotellobby, in der er arbeitet, gegenüber wie ein Zinnsoldat und stellt Fragen: Möchtest Du Kinder? Um welche Werte geht’s Dir im Leben? Er notiert meine Antworten. Klack Klack, spielt er mit seinem Kugelschreiber, dann holt er Luft und fragt: "Willst Du mich heiraten?"
Liebe heißt Eshgh auf Persisch. Eshgh ist nicht immer einfach in Iran. Vier Frauen und drei Männer erzählen von Affären, Liebeskummer und Liebesglück im Gottesstaat.
Fatemeh (w), 32, verheiratet
Ich lebe in einem Dorf im Süden des Landes und arbeite in einer Apotheke. Einmal kam ein Mädchen in unseren Laden. Sie weinte und sagte, dass sie schwanger sei, obwohl sie ein Kondom benutzt habe. "Habt ihr es richtig angewendet?", fragte ich. "Ich habe das Kondom heruntergeschluckt, bevor wir zusammen geschlafen haben", antwortete das Mädchen. Ich bin oft fassungslos, wie wenig iranische Jugendliche über Verhütung wissen. Wobei es mir selber nicht anders ging. In Iran gibt es keinen Aufklärungsunterricht in der Schule. Meine Familie ist zwar westlich eingestellt, trotzdem haben meine Eltern mit mir nie über Sex gesprochen. Erst als ich geheiratet habe, musste ich mit meinem Mann einen Hochzeitskurs besuchen. Das ist Pflicht für angehende Eheleute. Dort habe ich erfahren, dass die Frau einen Orgasmus haben kann. Vorher dachte ich, das wäre ein Privileg des Mannes.
Ilia (m), 30, noch in einer Beziehung
Meine Freundin Romisa und ich sind seit sechs Jahren ein Paar. Romisa ist toll. Meine Traumfrau. Natürlich tauschen wir Zärtlichkeiten aus. Wir küssen uns, übernachten auch beieinander. Miteinander geschlafen haben wir noch nicht. Wir wollten damit bis zur Ehe warten. Jetzt ist die Hochzeit aber geplatzt. Romisa wandert nach Kanada aus, morgen geht ihr Flieger. Sie will nicht in Iran versauern, einem Land, in dem Ahmadineschad wieder zum Präsidenten gewählt worden ist, sagt sie. Ich verstehe das. Wir haben oft darüber gesprochen, irgendwo neu anzufangen. Aber ich kann nicht weg. Meine Mutter braucht mich. Außerdem hält mich mein Job. Vielleicht bin ich auch einfach zu feige, um Romisa zu folgen. Männer weinen nicht, heißt eine iranische Redewendung. Ich heule seit zwei Tagen. Lily (w), 24, Single >>> Von Carola Hoffmeister | Donnerstag, 17. September 2009