Sunday, September 25, 2022

„Ich gehe da nicht hin“

„REFERENDEN“ IN DER UKRAINE

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: Putin will Russlands Eroberungen im Osten und Süden der Ukraine annektieren. Dafür soll es jetzt fingierte Volksabstimmungen geben, aber eine Frau in Cherson sagt Nein. Ein Protokoll.

Nennt mich Uljana Schewtschenko. Das ist ein Deckname, den ich benutzen muss, weil die Russen meine Stadt besetzt haben. Für eine Künstlerin ist es nicht leicht, den Namen zu wechseln, aber es muss sein.

Meine Stadt ist Cherson im Süden der Ukraine. Viele sprechen hier Russisch, und deshalb sagen die Orks: Da leben Russen. Auf mich trifft das nicht zu und auf viele meiner Freunde auch nicht, auch wenn wir mit Russisch aufgewachsen sind. Ich bin zweisprachig, und das geht so: Auf der Arbeit spreche ich Ukrainisch und auf Facebook auch. Aber zu Hause sprechen wir Russisch. Manche meiner Freunde lehnen das Russische jetzt total ab. Ich nicht, ich benutze beide Sprachen. Aber vielleicht kann ich das nur deshalb, weil ich nicht so viel gelitten habe wie andere.

Dass Putin unsere Stadt jetzt durch ein Referendum annektieren will, ist für uns keine Überraschung. Ich glaube, er macht das wegen seiner Mobilmachung zu Hause. Das geht leichter, wenn er seinen Bürgern sagen kann: Cherson und die anderen ukrainischen Gebiete, die wir besetzt haben, das ist ja Russland. Aber jeder weiß ja, dass dieses Referendum sowieso einen Dreck wert ist. In Cherson ist nur noch ein Viertel der Leute da, der Rest ist weg. Wie sollen die paar, die geblieben sind, denn den „Willen des Volkes“ ausdrücken können? » | Von Konrad Schuller | Sonntag, 25. September 2022