WELT ONLINE: Die Mitarbeiter von "Jyllands-Posten" leben wegen der Mohammed-Karikaturen mit einem ständigen Gefühl der Bedrohung. Ein Besuch.
Kurt Westergaard hat sich schick gemacht. Schwarze Hose, schwarzes Hemd, schwarze Lederweste, dazu ein farbiges aber dezentes Halstuch. In der rechten Hand hält er einen schwarzen Stock mit einem Knauf aus Silber. Seit zwei Wochen hat er einen Herzschrittmacher, den ihm seine Frau Birgitta zu Weihnachten geschenkt hat. „Der ganze Eingriff hat nicht mal eine Stunde gedauert“, staunt Westergaard, „kaum war ich aus der Narkose aufgewacht, durfte ich nach Hause gehen.“
Vor einem Jahr, am 1.Januar 2010, wurde Westergaard in seinem Haus von einem somalischen Islamisten heimgesucht, der ihn mit Hilfe einer Axt belehren wollte, dass man den Propheten Mohammed nicht ungestraft karikieren darf. Westergaard hatte Glück, die Tür zum Badezimmer hielt den Axthieben stand, bis die Polizei eintraf, ihn befreite und den Besucher abführte. Damals nahm er sich vor, alt zu werden und auf seine Gesundheit zu achten. Jetzt, witzelt Westergaard, schlage „ein Peacemaker“ in seiner Brust. „Die hätten dir besser einen Troublemaker einsetzen sollen“, sagt Erik Guldager, der Westergaard als Agent und Galerist betreut. „Hab ich nicht nötig, bin selber einer“, antwortet der Künstler mit einem Anflug von Trotz.
Guldager ist 47, Westergaard 75 Jahre alt. Der eine könnte der Sohn des anderen sein. Westergaard hat 25 Jahre als Lehrer an einer Grundschule unterrichtet, bevor er Karikaturist wurde. Guldager hat „absolut nichts“ gelernt, aber viel unternommen. Er war Vertreter von BASF, Kellog's und Kodak in Dänemark, 2005 machte er sich mit einer Galerie für zeitgenössische dänische Kunst in Skanderborg bei Aarhus selbstständig.
Auch für Westergaard war 2005 ein Schicksalsjahr. Am 30. September druckte „Jyllands-Posten“, Dänemarks größte Tageszeitung, zwölf Mohammed-Karikaturen. Eine davon hatte Westergaard gezeichnet: Der Prophet mit einer im Turban versteckten Bombe auf dem Kopf. Es dauerte ein paar Wochen, bis Millionen von Muslimen in aller Welt bewusst wurde, dass sie beleidigt worden waren, von einem Mann, dessen Namen sie nicht aussprechen konnten, und von einer Zeitung, die sie bis dahin nicht einmal zum Anzünden von offenen Feuern benutzt hatten.
Während die anderen Zeichner auf Tauchstation gingen, stellte sich Westergaard der Welle der Empörung entgegen. Heute ist er der bekannteste Däne zwischen Nordkap und Kap Horn, ein Symbol der „bürgerlichen Anarchie“, die das Rückgrat der dänischen Leitkultur ausmacht. „Wir lassen uns nicht gerne sagen, was wir machen sollen oder nicht machen dürfen.“ Weiter lesen und einen Kommentar schreiben >>> Autor: Henryk M. Broder | Samstag, 08. Januar 2011