Monday, September 07, 2009

Geschichte einer Einwanderung: "Die Bratwurst ist die Trennlinie zwischen West und Ost"

SPIEGEL ONLINE: Wie kommt man als Muslim dazu, doch mal Schweinefleisch zu kosten? Und wie erhält man als Pakistaner den Vornamen Niels? Hasnain Kazim berichtet von der Einwanderung seiner Familie nach Deutschland. SPIEGEL ONLINE veröffentlicht Auszüge aus seinem Buch "Grünkohl und Curry".

Meine Mutter machte kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland das erste Mal in ihrem Leben Bekanntschaft mit Schweinen. Die Tiere standen in einiger Entfernung auf einer Wiese im niedersächsischen Rastede, sie entdeckte sie, als sie mit Omi und Opi unterwegs war. Omi und Opi, das waren Mariechen und Erich Koch, Verwandte eines deutschen Kollegen meines zur See fahrenden Vaters, die meine Eltern bei sich aufgenommen hatten. "Ich wunderte mich: Was sind das für riesige Viecher? Schafe? Aber sie hatten kein Fell. Schweine kannte ich nur aus pakistanischen Bilderbüchern: kleine, rosafarbene Tiere. Diese Wesen hier waren schwarzbraun und riesengroß, fast so groß wie Kühe."

Sie starrte die Schweine an, sie begriff, dann entfuhr ihr: "Pigs! There [sic] are pigs!" Omi fiel diese Szene regelmäßig ein, wenn sie Geschichten von früher erzählte. "Deine Mutter sagte nur 'Pigs!' Und ich: Ja, das sind 'pigs'. Die hatte sie wohl noch nie zuvor gesehen."

Omis schnatterndes Gelächter.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Fleisch dieser Tiere auch auf dem Teller meiner Mutter landete. Ich weiß nicht, inwiefern Omi meine Eltern gefragt hat, ob sie Schweinefleisch essen, oder ob sie es ihnen überhaupt angeboten hat. Meine Mutter hatte es bis dahin trotz des Bratengeruchs auf dem Schiff, auf dem mein Vater arbeitete, und bei Kochs zu Hause nicht probiert, weil sie innerlich nicht dazu bereit war - noch nicht. Jahrelang hatte sie gehört, wie eklig Schweinefleisch ist. Sie sah, dass mein Vater an Bord angefangen hatte, Schweinefleisch zu essen, und fand es nicht weiter schlimm. Sie selbst rührte es nicht an. Aber dann briet Omi eines Abends Schweinekoteletts, kochte Kartoffeln und Rotkohl dazu und dünstete im Bratfett Ananasstücke an. Meine Mutter, hochschwanger, hatte großen Appetit.

"Was gibt es zum Abendessen?"

"Koteletts mit Ananas."

"Ah, Koteletts mit Ananas!"

Kotelett hatte sie gelernt und Ananas heißt auch auf Urdu Ananas.
Es schmeckte ihr so gut, dass sie noch heute davon schwärmt. "Aus Pakistan kannte ich Lammkoteletts vom Grill, die sehen fast genauso aus." Allerdings sind die viel schärfer, aber das war wohl zweitrangig. Fortan war Schweinefleisch für meine Mutter kein Problem mehr. Kein Schwein gehabt >>> Hasnain Kazim | Montag, 07. September 2009