NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: Die Empörung ist gross. Klein dagegen war bis anhin die Lust an der Aufklärung über die Beziehungen, die der Pädo-Kriminelle Jeffrey Epstein zu höchsten Vertretern aus Amerikas Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unterhielt. Das könnte sich jetzt ändern.
Gerade einmal zwei Wochen ist es her, dass sich (nicht nur amerikanische) Medien süffisant zurücklehnten angesichts des Schuldspruchs gegen die schöne Ghislaine Maxwell, die Komplizin des pädophilen Sexualstraftäters Jeffrey Epstein. Nun wurde vergangene Woche die Zivilklage von Virginia Giuffre gegen Prinz Andrew entgegen den juristischen Bemühungen seiner Anwälte von einem New Yorker Gericht für zulässig erklärt. Die «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens leitete den Bericht darüber ein mit dem Satz: «Es gab eine Zeit, da waren die Reichen und Mächtigen unantastbar, wo es gang und gäbe war, sich mit Deals aus der Affäre zu ziehen.» Aber der Reichtum ist hier nicht das Obszöne, sondern der Missbrauch.
Und tun wir jetzt wirklich so, als wäre Missbrauch vorwiegend ein Problem der Upper Class? Geht es in dieser Debatte vor allem um Genugtuung und ein bisschen Häme darüber, dass auch Prominente und Verwöhnte für ihre Vergehen bestraft werden? Und dann den Deckel drauf?
Das wäre eine verhängnisvolle Sichtweise, denn just der Prozess gegen Maxwell sollte im Kontext von #MeToo vor allem als ein Zeichen gewertet werden, das da lautet: Auch Zuschauer, Mitwisser, Mittäter, die Tätern Hilfe oder Schutz geben, werden unerbittlich strafrechtlich verfolgt. » | Claudia Schwartz | Montag, 17. Januar 2022