«Seid ihr für ein neues Tunesien oder für eine Rückkehr zu der Misere, in der wir gelebt haben?», ruft Zouhair Maghzaoui ins Mikrofon, bis die Lautsprecher scheppern. Der Generalsekretär der panarabistischen Partei Die Volksbewegung gibt am Ende seiner Rede noch einmal alles.
Die anwesenden Parteimitglieder klatschen energisch, doch sie geben ein eher trauriges Bild ab. Rund vierzig Personen haben sich an einem Samstagabend auf den Treppen des Stadttheaters von Tunis versammelt. Sie wollen die Passanten dazu motivieren, am kommenden Montag für eine neue Verfassung zu stimmen. Doch die meisten gehen desinteressiert vorbei. Nur eine Handvoll ist stehen geblieben und hört den Rednern zu.
Kaum Plakate, Flugblätter, Infostände oder Kundgebungen – das bevorstehende Referendum ist in der Öffentlichkeit wenig präsent. An den Cafétischen im Stadtzentrum drehen sich die Gespräche um andere Themen. Die alles lähmende Wirtschaftskrise und die ständig steigenden Lebensmittelpreise, die vielen Tunesiern den Alltag schwermachen, zum Beispiel. Oder die ständig zunehmende Zahl junger Menschen, aber auch ganzer Familien, die versuchen, irregulär mit dem Boot über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen. Fragen nach der neuen Verfassung werden höchstens mit einem Schulterzucken beantwortet. Die Zeiten, in denen politische Angelegenheiten in Tunesien Menschenmassen auf die Strasse getrieben haben, sind vorbei. » | Sarah Mersch, Tunis | Sonntag, 24. Juli 2022
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