Kaouther Ben Mohamed kann sich noch genau daran erinnern, wie im November 2018 die zwei Häuser im Zentrum von Marseille eingestürzt sind und acht Menschen unter sich begraben haben. Ihre Tante hat nebenan gewohnt und war stundenlang unauffindbar. Seitdem ist sie zum Sprachrohr derjenigen geworden, die hier in unwürdigen Verhältnissen wohnen.
Anastasia Baik ist eine davon. An zwei Stellen ihrer Wohnung ist die Decke eingestürzt. „In der Nacht habe ich Angst, dass uns die Balken auf den Kopf stürzen“, sagt sie, „aber die Experten der Stadt meinen, es gebe Schlimmeres.“ Oder Yasmine Khelifi. Sie war schwanger, als sie vor zwei Jahren ihre einsturzgefährdete Wohnung Hals über Kopf verlassen musste. Seither wohnt sie mit ihrer Familie in einer 2-Zimmer-Wohnung in einem Aparthotel. Doch nun droht ihr die Kündigung. „Wenn die ernst machen, lande ich mit meinen Kindern auf der Straße“, fürchtet sie.
Es sind nur zwei Beispiele von vielen, die Kaouther Ben Mohamed zum Verzweifeln bringen.
„Jahrzehntelang hat sich niemand für die Menschen im Zentrum interessiert. Erst das Unglück vor drei Jahren hat alle wachgerüttelt“, stellt sie fest. Doch es geht ihr viel zu langsam voran. Patrick Amico ist als stellvertretender Bürgermeister seit anderthalb Jahren zuständig für den Kampf gegen unwürdigen Wohnraum. „Dieses Problem ist unfassbar groß“, sagt er, „wir werden viele, viele Jahre brauchen, um es zu lösen.“ Seine größte Sorge: dass noch einmal ein Wohnhaus einstürzt. Ausschließen kann er es nicht. Immerhin greift jetzt sogar Präsident Emmanuel Macron ein, mit einem Hilfsplan für die Stadt.
Reportage (D 2022, 32 Min)
Video auf YouTube verfügbar bis 21/04/2023