Emotional ging es zu, als die Regierungschefs am Donnerstagabend zum Thema Ungarn kamen, so emotional wie selten. Xavier Bettel aus Luxemburg, selbst schwul, erzählte seine eigene Geschichte. Fast jeder habe da Tränen in den Augen gehabt, sagte Mark Rutte, der Niederländer hinterher. Und es ging mit voller Wucht gegen Viktor Orbán. Er hatte das Gesetz, das Kinder vor Homosexualität und anderen Orientierungen „schützen“ soll, noch schnell in Kraft setzen lassen, bevor er in Brüssel eintraf. Rutte selbst ritt die härteste Attacke. Wie Teilnehmer berichten, wandte er sich direkt an den ungarischen Regierungschef: „Viktor, wenn Du das machst, warum bleibst Du dann in der EU?“ Das war ein Einschnitt. Er könnte gravierende Folgen für Orbán nach sich ziehen.
Der belgische Premierminister Alexander De Croo sprach nach der Sitzung, die erst am frühen Morgen zu Ende ging, von einem „entscheidenden Moment“: „Eine solche Konfrontation haben wir noch nicht erlebt.“ Fast einstimmig habe der Europäische Rat gesagt: „Bis hierhin und nicht weiter.“ Auf die Frage, ob es noch einen Platz für Ungarn in der Europäischen Union gebe, antwortete De Croo erst mit ein paar Sekunden Verzögerung: „Ich hoffe, dass Herr Orbán mit dieser Frage heute nach Hause geht oder wenigstens schlafen geht. Ich denke, er hatte nicht damit gerechnet, dass das Treffen diese Wendung nimmt.“ » | Von Thomas Gutschker, Brüssel | Freitag, 25. Juni 2021