TAGES ANZEIGER: Frankreich ist kein Provokateur, es wird von fanatischen Mördern ins Visier genommen. Dass viele wegsehen, ist irritierend.
Der Horror verdichtet sich: Am 25. September wurden zwei junge Mitarbeiter einer Fernsehproduktionsfirma in Paris auf der Strasse mit einem Metzgerbeil angegriffen. Sie machten eine Pause vor dem Gebäude, in dem früher die Redaktion der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» gearbeitet hatte. Am 16. Oktober wurde dem Geschichtslehrer Samuel Paty in Conflans-Sainte-Honorine auf offener Strasse der Kopf abgetrennt. Paty hatte im Unterricht über Meinungsfreiheit gesprochen und Mohammed-Karikaturen aus «Charlie Hebdo» gezeigt.
An diesem Donnerstag nun wurden in einer Kirche in Nizza drei Menschen mit einem Messer getötet, sechs weitere verletzt. Eine Frau betete, als der Täter ihr die Waffe an den Hals setzte. Diese Morde sind nicht isolierte Taten einzelner Irrer. Sie sind Teil des islamistischen Angriffs auf Frankreich.
Begonnen hat die aktuelle Mordserie mit dem «Charlie Hebdo»-Prozess. Wie in einer grausamen zweiten Auflage wird wiederholt, was schon 2015 passierte. Die Zeichner und alle, die im weitesten Sinn als ihre Unterstützer ausgemacht werden, sollen in der Logik der Fanatiker dafür zahlen, dass sie Witze über den Propheten Mohammed machen. Und die Reaktion nicht weniger Leute besteht darin, darauf hinzuweisen, die Karikaturen seien geschmacklos und verletzend. Ob die Franzosen es nicht ein bisschen weit trieben mit ihrem Recht auf Gotteslästerung, wird gefragt. » | Nadia Pantel aus Paris | Donnerstag, 29. Oktober 2020