Saturday, May 05, 2012

Marlene Dietrichs letzte Jahre: Der lange Fall der Filmgöttin

SPIEGEL ONLINE: 13 Jahre auf dem Sterbebett: Sie war eine lebende Legende, dann zog Marlene Dietrich sich plötzlich zurück. Nach einem Unfall versteckte die Schauspielerin sich mehr als ein Jahrzehnt in ihrem Pariser Apartment. Sie trank, nahm starke Medikamente - und telefonierte mit der Queen und Gorbatschow. Von Benjamin Maack

"Vorhang runter! Runter!", schrie sie. Und der Vorhang fiel schwer. Er fiel endgültig.

Es war Ende September 1975, ein Konzertabend im Her Majesty's Theatre in Sydney. Das Orchester spielte "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt", das Zeichen für ihren Auftritt. Plötzlich zerriss ein dissonanter Ton die Melodie. Es war der Moment, in dem die Musiker Marlene Dietrich taumeln und fallen sahen. Sie hatte getrunken, sie trank viel. Ein Laster, das sie bis ans Ende ihres Lebens nicht mehr aufgeben sollte. Marlene Dietrich versuchte noch, Halt zu finden, dann stürzte sie in den Orchestergraben. Ihr linker Oberschenkelknochen brach und bohrte sich durch die Haut der 73-jährigen Hollywood-Göttin.

45 Jahre war das, nachdem sie als Josef Sternbergs blauer Engel berühmt wurde, 36 nach ihrem furiosen Auftritt als Saloonsängerin Frenchy an der Seite von James Stewart in "Der große Bluff", 18 Jahre nach ihrer Meisterleistung als Billy Wilders Zeugin der Anklage. Dieser Abend in Sydney markierte das Ende ihrer Bühnenkarriere - und den Beginn eines neuen Mythos: Der von dem Phantom, das im vierten Stock in der Avenue Montaigne 12 in Paris hauste und versuchte, die Welt auszusperren. Für immer.

Die Lebenszeichen der Filmdiva nach ihrem Sturz lassen sich an einer Hand abzählen: Zuerst wurde sie ins New York-Presbyterian Hospital gebracht. Acht Monate lang steckte Marlene Dietrich in einem Gipsverband, der von der Taille bis zum Knöchel reicht. Die Diva fühlte sich hilflos und gedemütigt. An der Tür zu ihrem Zimmer hing ein Schild: "Keine Besucher! Keine Information!" Blumen und Geschenke gingen an die Absender zurück. Ihre alte Freundin Katherine Hepburn reiste an, um sie aufzuheitern und wurde weggeschickt. So sollte sie niemand sehen. » | Benjamin Maack | Samstag, 05. Mai 2012