Saturday, January 21, 2012

"Die Religiösen führen ein bigottes Doppelleben"

DIE PRESSE: Frauenrechte sind in Saudiarabien noch am absoluten Nullpunkt. Seit dem Ausbruch der Arabellion vor einem Jahr versuchen allerdings auch die Frauen, sich in mikroskopischen Schritten mehr Freiheiten zu erkämpfen.

Flamenco wird von Männern und Frauen getanzt, Frauen jedoch tanzen ihn häufiger“, tönt aus dem Dunkeln tapfer eine Lautsprecherstimme auf Arabisch und Englisch. Das Auditorium tuschelt leise und erwartungsfroh. Immerhin, das puritanisch-wahhabitische Königreich Saudiarabien gönnt sich an diesem Abend eine ganz besondere Premiere: die erste Flamencovorstellung seit Menschengedenken in der Heimat des Propheten.

Mit dem weltberühmten andalusischen Körperzauber allerdings hat das, was dann im König-Fahd-Kulturzentrum in Riad auf die Bühne kommt, nur sehr entfernt zu tun. Die staatlichen Moralzensoren haben ganze Arbeit geleistet – anderthalb Stunden ohne Paartanz, keine einzige Frau auf der Bühne, nach einem Dutzend einsamer Männersoli fällt der Vorhang. Die Flamencoband spielt die ganze Zeit hinter einem zusätzlichen grauen Sichtschutz – denn zum Ensemble gehört auch eine Frau, die nach saudisch-islamischer Sitte dort nichts zu suchen hat. Selbst beim Schlussapplaus bleibt die Künstlerin den Blicken entzogen, nur einer der Musiker deutet unbeholfen hinter sich in das Bühnendunkel, wo sich seine Kollegin vermutlich irgendwo verborgen hält. „Das haben wir bei unserem letzten Spanien-Urlaub aber viel besser gesehen“, schimpfen zwei Damen in fein bestickten Abayas und streben zu ihren Luxuslimousinen, die samt Fahrer draußen auf dem riesigen Parkplatz warten. » | Von Martin Gehlen | Samstag 21. Januar 2012