WELT ONLINE: Während die EU Ankaras Außenpolitik lobt, beklagt sie im neuen Fortschrittsbericht Probleme bei Medienfreiheit und Frauenrechten.
Die Türkei macht nach Ansicht der Europäischen Union keine befriedigenden Fortschritte in Sachen Grundrechte. „Meinungsfreiheit und die Freiheit der Medien müssen sowohl per Gesetz als auch in der Praxis gestärkt werden. Defizite bleiben bei der Ausübung der Religionsfreiheit. Fortschritt ist auch bei Frauenrechten, Geschlechtergleichheit und den Rechten der Gewerkschaften notwendig“, heißt es im diesjährigen Fortschrittsbericht. Mit dem Report, welcher WELT ONLINE vorab vorliegt und am kommenden Dienstag präsentiert wird, zieht Brüssel sein jährliches Resümee über die Arbeit der EU-Beitrittskandidaten. Neben der Türkei sind auch Kroatien und Mazedonien Bewerber für eine Mitgliedschaft in der Union.
Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sind zunehmend von Schwierigkeiten geprägt. Im Land selbst nimmt der Zuspruch für den EU-Beitritt rapide ab, nur noch jeder dritte Bürger ist Umfragen zufolge dafür – vor fünf Jahren waren es noch 68 Prozent. Für Ankaras prowestliche Politiker wird es immer schwerer, ihren Wählern angesichts der ablehnenden Haltung Europas die Beitrittsperspektive schmackhaft zu machen.
Gleichzeitig sorgt die sich verändernde Außenpolitik Ankaras für Spannungen mit Brüssel. Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan schlägt einen deutlich eigenständigen Kurs ein, sie richtet sich immer häufiger nach eigenen Interessen als nach denen der Partner in Europa und den USA. So erregte das türkische Veto gegen Iran-Sanktionen des UN-Sicherheitsrats vergangenen Juni großen Unmut. Auch die Schaffung einer Freihandelszone unter anderem mit Syrien sorgte für Irritation. Zeitgleich wurden die traditionell guten Beziehungen zu Israel vom heftigen Streit über den israelischen Angriff auf die „Gaza-Flottille“ überschattet, bei dem neun türkische Staatsbürger umkamen. >>> Von Stefanie Bolzen | Mittwoch, 03. November 2010