DIE PRESSE: Der Europa-Besuch Barack Obamas steht im Zeichen der Ernüchterung. Die Beziehungen haben sich spürbar abgekühlt. Über die Krisenbewältigung bestehen krasse Auffassungs-Unterschiede.
Vor der Siegessäule in Berlin hatte er noch leicht reden. Umjubelt und umschwärmt, war der Kandidat im Sommer 2008 der Liebling der Massen, der Wunschpräsident der Europäer – kurzum: Barack Obama war der Anti-Bush, auf den alle so lange gewartet hatten. Seine Stippvisite in Europas Metropolen glich einem Triumphzug. Daheim verhöhnte ihn das McCain-Lager zwar als zweifelhafte Berühmtheit vom Rang einer Paris Hilton. Doch die Häme machte nur deutlich, wie sehr die Republikaner in die Defensive geraten waren.
Ein Dreivierteljahr später hat sich die Botschaft Barack Obamas nicht verändert. Doch steht sein erster Europa-Besuch als US-Präsident in dieser Woche unter völlig anderen Vorzeichen. Die globale Wirtschaftskrise hat die grundsätzlichen Differenzen zwischen den USA und dem Rest der Welt stärker akzentuiert. „Das ist geradezu eine Einladung zur Desillusionierung“, sagte John Kerry, als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Senat einer der einflussreichsten Außenpolitiker.
War George W. Bush mit Demonstrationen gegen den Irak-Krieg konfrontiert, so steht beim G20-Gipfel in London der ungezügelte Wall-Street-Kapitalismus im Visier, der das Finanzsystem beinahe zum Einsturz gebracht hätte. Die Proteste am Wochenende zeugen von tief sitzenden Ressentiments.
Über die Krisenbewältigung bestehen krasse Auffassungsunterschiede. Während die Notenbank in Washington die Geldpresse angeworfen hat, halten viele Europäer das „Big Government“, das staatliche Konjunkturprogramm Washingtons, für einen „Weg in die Hölle“, wie Tschechiens Noch-Premier und Hardrock-Fan Mirek Topolánek formulierte. Sie fürchten einen Anstieg der Inflation. >>> Von Thomas Vieregge, Washington | Montag, 30. März 2009