Friday, February 15, 2008

Die türkische Frage

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: 12. Februar 2008 Die Plakate waren auf Türkisch, die Rede war auf Türkisch und bald werden in der Stadt, in der sie tausendfach bejubelt wurde, die Minarette einer Großmoschee in den Himmel ragen. Sollten das Zeichen jenes „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“, der Assimilierung, sein, vor dem der türkische Ministerpräsident Erdogan am Sonntag in Köln warnte?

Sie, wie manches andere, lassen sich auch anders deuten: als Symptome einer sich verfestigenden, vielleicht sogar vergrößernden Distanz zwischen den türkischen Einwanderern in Deutschland und der Mehrheitsgesellschaft. Man kann nicht erst seit Erdogans Rede den Verdacht haben, dass Türken und Deutsche nicht immer an das Gleiche denken, wenn sie von Integration reden. Und dass die Grundannahme der deutschen Ausländer- und Einwanderungspolitik falsch ist, eine möglichst weitgehende Eingliederung der rund 1,7 Millionen türkischen Staatsangehörigen in Deutschland und Hunderttausender schon Eingebürgerter werde von allen Beteiligten gleichermaßen als erstrebenswert angesehen.

„Klein-Türkei“ schon vielerorts Realität

Die Rede Erdogans, der noch am Vortag vor der Brandruine von Ludwigshafen als der große Brückenbauer zwischen den Zivilisationen auftrat, lässt jedenfalls erahnen, dass auch andere Vorstellungen in der Welt sind. In dem Land, in dem die meisten der eingewanderten Türken sich ihr Leben lang als Türken verstehen und unbehelligt ihre Sprache und Kultur pflegen, ist die „Klein-Türkei“, vor der CSU-Chef Huber warnte, jetzt schon vielerorts Realität.

Assimilierungsdruck gibt es in Deutschland nicht, jedenfalls nicht in Richtung der türkischen Bevölkerung. Häufig hört man dagegen Berichte über Prozesse der Retürkisierung in der dritten oder vierten Generation. Unter solch' günstigen Bedingungen, von denen selbst alteingesessene nationale Minderheiten in anderen Staaten nur träumen können, braucht man die Türken nicht wie Erdogan zur Pflege und Erhaltung ihrer türkischen Identität auffordern - es sei denn, man verbindet damit politische Zwecke. Wichtiges Wählerpotential… >>> Von Berthold Kohler

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