FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: Mehrere europäische Länder orientieren sich im 21. Jahrhundert an historischen Ideen, die aus der Zeit gefallen sind. Das verursacht schwere Schäden – auch in Deutschland.
Vor zwei Wochen geriet Großbritannien unversehens in eine schwere Währungskrise. Nach der Ankündigung des größten Entlastungspakets seit fünf Jahrzehnten fiel der Wechselkurs des Pfunds gegenüber dem Dollar auf seinen niedrigsten Stand in der Geschichte. Die Nachricht, die Steuersenkungen sollten überwiegend mit Staatsschulden finanziert werden, ließ die Renditen britischer Staatsanleihen kräftig steigen. Der Internationale Währungsfonds warnte vor verheerenden Folgen. „Solche Dinge geschehen normalerweise in einem Entwicklungsland, aber nicht in einem Mitglied der G-7-Gruppe“, sagte Mohamed El-Erian, ein erfahrener Berater des Versicherungskonzerns Allianz, gegenüber der BBC. Der neuen Premierministerin Liz Truss drohte eine Revolte aus den eigenen Reihen.
London bekam die Krise mühsam in den Griff. Zuerst kündigte die Bank of England Stützungskäufe für den Anleihemarkt an, obgleich sie nicht zu einer Politik der Inflationsbekämpfung passen. Dann nahm die Regierung in einer peinlichen Kehrtwende einen Teil der angekündigten Steuersenkungen zurück. Das Pfund erholte sich, und die Renditen der Anleihen fielen wieder ein Stück. Ob die Krise damit dauerhaft überwunden ist, lässt sich noch nicht beurteilen. » | Von Gerald Braunberger | Sonntag, 9. Oktober 2022