SPIEGEL ONLINE: Tunesien steht vor den ersten freien Wahlen - wahrscheinlich siegt die Islamistenpartei Nahda. Ihre Mitglieder wurden während der Diktatur brutal verfolgt, heute hat die Partei Geld, gibt es für Soziales und Bildung aus. Trotzdem fürchten viele im Land eine religiöse Wende nach rechts.
Er strahlt, er scherzt, er hat heute noch viel vor: "Gleich gehe ich mit meinen beiden Söhnen einkaufen, neue Hemden und Hosen für das Eid-Fest zum Ende des Ramadan", sagt Abderrahim Khelifi in der Lobby des Afrika-Hotels in Tunis.
Draußen schieben sich Tausende durch das Herz der tunesischen Hauptstadt: Beim arabischen Pendant zu den Weihnachtseinkäufen wird gedrängelt und gefeilscht, den Kindern gehen die Augen über, den Eltern geht es ans Portemonnaie. Vor allem aber liegt diese besondere Feiertagsstimmung in der Luft, die Khelifi mit in die düstere Hotellobby gebracht hat. "Das wird das beste Fastenbrechen, das wir jemals hatten", freut sich der 52-Jährige.
Was für eine Verwandlung: Vor acht Monaten war Khelifi ein gebrochener Mann. Da hatte er sich vor den Straßenschlachten, die auf dem zentralen Burghiba-Boulevard zwischen Demonstranten und Polizei tobten, in ein Reisebüro geflüchtet. Hager wirkte er und müde, stockend erzählte er seine Lebensgeschichte: Wie die Herrschaft von Zine al-Abidine Ben Alis alle seine Träume zerstörte. Wie er, der Wirtschaftswissenschaftler, nicht mal mehr als Grundschullehrer arbeiten durfte. Wie er gezwungen war, sein Leben lang nur Hilfsarbeiten auf dem Bau zu erledigen. Davon, wie er als in der Wolle gefärbter Anhänger der islamistischen "Nahda"-Partei Jahre lang im Gefängnis saß, wie er gefoltert wurde - und wie schwer all das für seine Frau war. » | Aus Tunis berichtet Ulrike Putz | Samstag 17. September 2011