FRANKFURTER ALLGEMEINE: Libido dominandi? Der Skandal um den ehemaligen IWF-Präsidenten Dominique Strauss-Kahn könnte in Frankreich eine Kulturrevolution in Gang setzen. Feministische Stimmen drehten den Diskurs.
Viele Franzosen glauben an eine Verschwörung. Heute würde Alfred Dreyfus nicht der Spionage für Deutschland bezichtigt, sondern in einen Sexskandal verwickelt. Es ist die Rache für Roman Polanski. Julian Assange hätten sie das gleiche Schicksal nicht erspart. „Gelyncht“ habe man Dominique Strauss-Kahn, den alle nur DSK nennen, polterte Jack Lang live aus Cannes: „Es hat ja keinen Toten gegeben.“ Und überhaupt, schrieb Bernard-Henry Lévy: Warum ging das Zimmermädchen entgegen allen Gepflogenheiten allein in die Suite? Von allen amerikanischen Eigenheiten haben Besucher das Funktionieren der Justiz am wenigsten verstanden.
Das wusste schon Tocqueville, der über die Demokratie in Amerika schrieb. Ihn zitiert Pierre Beyleau im „Figaro“. Der Journalist bezeichnet die Reaktionen seiner Landsleute als „seltsame Mischung“: Sie besteht aus dem „genetischen“ Antiamerikanismus der Franzosen und der Empörung der „französischen Nomenklatura, die es nicht fassen kann, dass einer der Ihren behandelt wird wie ein gewöhnlicher Autodieb in Brooklyn“. In den Vereinigten Staaten sei das Recht „die Grundlage des Staates“, in Frankreich dient es zur „Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung“. Der konservative „Figaro“ schlägt klassenkämpferische Töne an und kämpft für die Gleichheit, die Linke lobt im Verdruss über die amerikanische Barbarei die französischen Gefängnisse – mit hundert Suiziden pro Jahr. Ihre Version der Verschwörung: der amerikanische Kapitalismus gegen den französischen Sozialdemokraten, als den sie Strauss-Kahn allerdings nie wirklich akzeptiert hatte. » | Von Jürg Altwegg, Paris | Freitag, 20. Mai 2011
FRANKFURTER ALLGEMEINE: Fotoshooting auf dem „Perp Walk“: Im Fall Strauss-Kahn prallen Kulturen aufeinander: Amerika und Europa haben verschiedene Vorstellungen von den Rechten des Angeklagten. Ist die Zurschaustellung Strauss-Kahns eine „mediale Hinrichtung“? Zum „perp walk“ werden nicht nur Täter eskortiert, deren Schuld gerichtlich erwiesen ist. » | Von Katja Gelinsky | Donnerstag, 19. Mai 2011