SPIEGEL: Der militärische Erfolg bleibt aus, so besinnt sich die Hamas auf ihre islamistische Agenda: Badehosenverbot für Männer, Massenhochzeiten für alle - und Propaganda gegen Verführungen. Wie angebliche Lust-Kaugummis aus Israel.
Wenn man wissen will, was man in der Hamas derzeit so denkt, ist Islam Schahwan ein guter Gesprächspartner. Schahwan ist Sprecher der Hamas-Polizei, und er kämpft nicht nur gegen das Verbrechen im Gaza-Streifen, sondern vor allem gegen den Verfall der Sitten. Und deshalb hält Islam Schahwan jetzt eine kartenspielgroße Pappschachtel mit Daumen und Zeigefinger, sein Beweisstück. Auf der Schachtel steht: "Lina Sex for Woman", daneben ist das verschwommene Foto einer Blondine in weißer Unterwäsche aufgedruckt und eine Telefonnummer mit der Vorwahl von Burma.
Der Hamas-Mann legt sie auf dem Tisch ab, mit dem Bild nach unten. In der Schachtel versammelt sich, wenn man Schahwan glaubt, alles Übel der Welt: 20 gelbliche Dragees, von denen der Hamas-Mann behauptet, sie enthielten stimulierende Substanzen. "Nach einer halben Stunde Kauen müssen Sie unbedingt Sex haben, sofort, mit allem, sogar mit dem Fernseher", sagt er, es ist ihm sichtlich peinlich.
"Diesen Kaugummi hat die israelische Regierung nach Gaza geschmuggelt, er sollte an Schüler und Schülerinnen verteilt werden, um unsere Gesellschaft zu zersetzen." Die Jugendlichen sollten mittels Sex gegen die Hamas aufgehetzt werden, so sieht er das, so lautet die offizielle Propaganda. Erst Bomben, dann Sex, für Schahwan ist das nur logisch.
"Aber wir konnten das Schlimmste gerade noch verhindern", sagt der Polizeisprecher und lehnt sich breitbeinig auf seinem Stuhl zurück. Die Ehre eines vom Kaugummi erregten Mädchens konnte gerettet werden, die vier angeblichen Kollaborateure sitzen jetzt im Gefängnis, ihnen drohen bis zu 25 Jahre Gefängnis. Insgesamt 40 Kilo Lust-Kaugummi hat Schahwan konfisziert und im Tresor des Polizeihauptquartiers weggeschlossen, sicher ist sicher.
Natürlich ist der Vorwurf absurd, Israel versuche, die Palästinenser zu einer Revolte der Lust anzustacheln. Aber so lächerlich die Geschichte ist: Sie zeigt, wie die Hamas sich, angesichts ausbleibender militärischer Erfolge, wieder auf die Umsetzung ihrer islamistischen Agenda besinnt. Es ist kein Zufall, dass die Hamas, ein Dreivierteljahr nach dem Luftkrieg der Israelis, nun wieder islamische Regeln strikter durchsetzt. >>> Von Juliane von Mittelstaedt, Jerusalem | Mittwoch, 26. August 2009