ZEIT ONLINE: Unternehmen geben sich in sozialen und politischen Fragen neuerdings besonders progressiv. Wie glaubwürdig ist das?
Im Frühjahr ließ der Online-Modehändler Zalando einen Werbespot produzieren. In dem Film treten auf: ein schwarzes Plus-Size-Model, ein schwuler Skateboarder, ein Tänzer, der mit einem Arm geboren wurde. Vor ein paar Jahren hatte Zalando noch mit Kundinnen geworben, die beim Klingeln des Paketboten ausrasteten. Damals wollte Zalando bloß Schuhe verkaufen.
Heute genügt dem Unternehmen das nicht mehr, es hat sich eine neue Mission verpasst. "Diversität und Inklusion" seien für Zalando "weit mehr als nur eine Geschäftsstrategie – sondern der einzig richtige Weg", schrieb Konzernvorstand Rubin Ritter im November. Zalando versprach, den Anteil von Frauen in Führungspositionen bis Ende 2023 auf mindestens 40 Prozent zu erhöhen. Neuerdings sind in Zalandos Kampagnen auch nicht mehr nur Models zu sehen, die dem ultraschlanken Schönheitsideal der Modeindustrie entsprechen. Und als vor einem Jahr auch in Deutschland Zehntausende gegen den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd protestierten, versicherte Zalando seinen 1,2 Millionen Instagram-Followern, "unsere Stimme" für die "schwarze Community" zu erheben.
Woke capitalism, aufgeweckter Kapitalismus, hat der US-Kolumnist Ross Douthat es genannt, wenn Unternehmen sich in sozialen oder politischen Fragen besonders progressiv geben; wenn es ihnen nicht mehr allein ums Geldverdienen geht, sondern darum, auf der richtigen Seite zu stehen. Richtig, das heißt in diesem Fall: für die Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten zu sein – oder auch für den Klimaschutz. » | Von Heike Buchter, Ann-Kathrin Nezik und Theresa Rauffmann | Mittwoch, 7. Juli 2021