Sunday, September 10, 2023

Das größte Ich der Mode


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: 10. September 2023 · Am Sonntag wäre Karl Lagerfeld 90 Jahre alt geworden. Seit seinem Tod sind viele Bücher erschienen, die sein Werk glänzen lassen – und auch die Schattenseiten seiner Person ausleuchten.

Sie ging ihm über alles. Immer wieder erzählte Karl Lagerfeld von seiner Mutter, die ihren einzigen Sohn forderte und förderte. Und beleidigte: „Wenn du mit mir reden willst, dann streng dich an oder sei ruhig.“ – „Du solltest Vorhänge für deine Nasenlöcher bestellen.“ – „Du siehst aus wie ich, aber nicht so gut.“ Ihre Sprüche haben zu seiner Legendenbildung beigetragen. Denn dass er die Herabsetzungen überstand: War das nicht eine heroische Leistung des Künstlers als junger Mann? Und indem er all die Zitate auch noch locker wiedergab, wurde er zum idealen Erzähler schöner und schauriger Geschichten.

Verhüllt hat er aber zeitlebens, dass Elisabeth Lagerfeld ihm auch modisch ein Vorbild war. Sie kaufte in Hamburg nicht nur in den besten Geschäften ein, schließlich verdiente ihr Mann Otto Lagerfeld als Glücksklee-Gründer viel Geld. Nein, die Liebe zur Mode begann früher und ging tiefer, wie die Autorin Heike Koschyk herausgefunden hat. Lagerfelds Mutter, die 1897 geboren wurde und 1978 in seinem Schloss in der Bretagne starb, wollte die Mode geradezu wissenschaftlich durchdringen. Die junge Frau, die in einem Berliner Modekaufhaus gearbeitet hatte, hielt 1927 in mehreren Radiobeiträgen Vorträge über das Thema. Im „Werag“-Rundfunk (dem WDR-Vorgänger „Westdeutsche Rundfunk AG“) sprach Elisabeth Bahlmann, wie sie da noch hieß, am Samstag, dem 1. Oktober 1927, von 18.30 bis 19 Uhr über „Die Psychologie der Mode“. Am 6. Oktober analysierte sie von 18 bis 18.30 Uhr „Die diesjährige Herbst- und Wintermode“, fortgesetzt in einem zweiten Teil am 8. Oktober. » | Von Alfons Kaiser | Sonntag, 10. September 2023