NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: Gerade finden in Iran die grössten Proteste seit Jahren statt. Frauen kämpfen gegen das Regime und den Zwang, sich zu verschleiern. Das Kopftuch ist seit der Zeit des Schahs ein Politikum – damals, weil er es verboten hatte. Ein Blick zurück.
Die Haare der Iranerinnen erzählen seit 86 Jahren die Geschichte der politischen und religiösen Grabenkämpfe des Landes. Wer darf sie sehen, wer nicht? Die Freiheit, selbst darüber bestimmen zu dürfen, entzog bereits der Schah Reza Pahlevi den Iranerinnen. Er wollte sein Reich modernisieren, reiste in die Türkei, wo er sich von Atatürk die Politik des rigorosen Westkurses erklären liess. Islamische Kleidung, da waren sie sich einig, sei ein Symbol, das der Modernisierung widerspreche. Der Schah, der autoritär regierte, verbot 1936 das Kopftuch.
Für viele Iranerinnen und Iraner war das ein Angriff auf ihre Werte. In Persien, wo der schiitische Islam (Zwölfer-Schia) seit dem 16. Jahrhundert die prägende Religion ist, verschleierten sich Frauen, weil sie daran glaubten und weil es Teil der Kultur war. Das Kopftuchverbot bedeutete deshalb für viele weniger Freiheit: Manche Familien wollten nicht, dass die Töchter und Mütter unverschleiert das Haus verliessen; und es gibt Erzählungen von Frauen, die sich jahrelang nicht auf die Strasse trauten, weil sie sich ohne Kopftuch zu entblösst fühlten. BILDSTRECKE » | Karin A. Wenger (Text), Martin Berz (Bildredaktion) | Dienstag, 27. September 2022