SPIEGEL ONLINE: Alexis Tsipras lehnt das Sparen ab - und hat gute Chancen, Griechenlands Premier zu werden. Vor der Wahl am Sonntag inszeniert sich der Linke als Antipolitiker, als Vorkämpfer der Demokratie. Doch wenn er gewinnt, droht der Wirtschaft der endgültige Absturz und dem Land das Euro-Aus.
Zum Glück sind die Kunstledersessel im Zappeion halbwegs stabil. In dem klassizistischen Veranstaltungszentrum im Herzen Athens herrscht am Dienstagabend solcher Andrang, dass sich Kameramänner kurzerhand auf die Stühle stellen, um alles ins Bild zu bekommen. Einer platziert sich mitsamt Stativ sogar auf einem Tisch. Als ihm Kollegen trotzdem noch die Sicht versperren, schimpft er in wüstem Englisch los und ist kaum zu beruhigen. Und das alles wegen eines freundlichen jungen Mannes am anderen Ende des Saals. Alexis Tsipras sorgt mal wieder für Aufruhr.
Der 37-Jährige erregt die Gemüter wie kein anderer europäischer Politiker. Er führt das Linksbündnis Syriza an, ein Sieg bei der Parlamentswahl am Sonntag könnte zum Euro-Aus für Griechenland führen. Schließlich lehnt Syriza die Sparprogramme ab, denen sich Griechenland unterwerfen musste, um Finanzhilfen seiner Euro-Partner zu erhalten.
Diese Haltung reicht, um Tsipras für viele zur Persona non grata zu machen. Außer BundeskanzlerinAngela Merkel (CDU) verweigerte ihm auch Frankreichs neuer Präsident François Hollandebislang ein Treffen, obwohl er Tsipras' Kritik am harten Sparkurs eigentlich teilt. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bilanzierte, Tsipras' Äußerungen seien "eine einzige Abfolge von leerem Gerede, Gewaltverharmlosung und peudorevolutionärem Geschwätz". » | Aus Athen berichtet David Böcking | Mitarbeit: Lamprini Thoma | Mittwoch, 13. Juni 2012