DER TAGESSPIEGEL: Demokratie halten sie für etwas Atheistisches. Sie träumen von einem Land ohne Bier und Bikinis und fürchten sich vor dem Höllenfeuer. Mit ihren Parolen bekommen die radikal-islamischen Salafisten in Ägypten immer mehr Zulauf. Beim ersten von drei Wahlgängen wurden sie zweitstärkste Partei.
Ob es der Wind ist, der so heftig vom Mittelmeer weht, dass der Müll durch die Straßen Alexandrias fliegt? Oder sind es am Ende halt doch mal wieder die Frauen? Irgendjemand muss ja Schuld haben, dass der Scheich, der oben auf dem Podium sitzt, seit 20 Minuten warten muss, bis er endlich reden darf. Er sieht den Männern unten zu, die große Mühe haben, ein schweres, drei Meter hohes Tuch mit islamischen Mustern an vier Dattelpalmen anzubinden. Es soll eine Art improvisierter Blickschutz werden für die zwölf Personen, die auf Stühlen sitzen und aussehen, als hätte ihnen jemand einen langen, schwarzen Sack über den Körper gestülpt; es sind mutmaßlich Frauen.
Wer mit dieser Absperrung vor wem geschützt werden soll und vor allem warum, das ist nicht ganz klar. Klar ist aber, dass die 400 Männer, die sich an diesem Freitagabend im November auf dem Midan el-Mitafi versammelt haben, damit ein Zeichen setzen wollen: Wir sind doch gar nicht so schlimm, wie alle denken! Wir haben Frauen unter uns! Oder, wie der Scheich auf dem Podium ins Mikrofon lärmt: „Männer und Frauen sind bereit für Gottes Auftrag!“
Im ägyptischen Wahlkampf ist es Mode geworden, öffentliche Konferenzen zu veranstalten. Mal geht es um die Wirtschaft, mal um die Zukunft, mal um irgendwie alles und nichts, so wie bei den Salafisten. Sie treffen sich in el-Seyuf, einer Ecke Alexandrias, die auch nach ägyptischen Maßstäben ziemlich arm und ziemlich kaputt ist. Hier wohnen viele Fans von Abd el-Moneim el-Schahat, dem Scheich auf dem Podium, studierter Ingenieur, Jahrgang 1970, dessen Bauch kaum durch eine Tür passt. Der Bart ist obligat, die Hochwasserhosen sind es auch, denn die soll der Prophet schließlich auch so getragen haben, als Zeichen gegen die Angeberei. Seiner Stimme sagt man nach, sie sei ein „Zilzaal“: ein Erdbeben.
Abd el-Moneim ist der Sprecher des Dachverbands der Fundamentalisten, der aAl-Da’wa al-Salafeya. Das erste Wort könnte man mit Aufruf übersetzen; das zweite heißt so viel wie: zurück zu den Wurzeln. Also ins siebte Jahrhundert, als Mohammed, der Prophet des Islams, die Menschen in Arabien begeisterte. Abd el-Moneim sieht sich dieser Tradition verpflichtet. Also forderte er, dass die Pyramiden mit Wachs überzogen werden müssten, „weil die pharaonische Kultur verderblich“ sei. Ein andermal ließ er die Statue einer Meerjungfrau verschleiern. Und neulich sagte er, Demokratie sei etwas für Atheisten, die Todfeinde des Islams. Weiter lessen und einen Kommentar hinzufügen » | Von Gerald Drißner | Donnerstag 15. Dezember 2011