FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: Die Regierungszeit des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten beginnt erst jetzt richtig. Bisher war alles nur Vorgeplänkel. Und es waren vor allem Versprechen Barack Obamas, die es noch einzulösen gilt. Das Gefangenenlager Guantánamo Bay etwa soll bis zum 22. Januar 2010 geschlossen werden. Das ist wegen des Streits über die Unterbringung der noch 229 Gefangenen sowie über deren Verfahren vor Militärtribunalen oder Zivilgerichten schon jetzt ein kaum noch fristgerecht zu erreichendes Ziel. Oder die Welt soll von der Geißel des drohenden Atomtods befreit werden - so will es eine am Freitag dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorgelegte Resolution Washingtons, die nach dem Willen des Weißen Hauses am 24. September in New York bei einer von Obama geleiteten Ratssitzung angenommen werden soll.
Ob Obamas Präsidentschaft erfolgreich sein wird, wird indes an Zahlen abgelesen werden: Um wie viel Prozent wächst die amerikanische Volkswirtschaft? Wie hoch sind Defizit, Schuldenberg und Arbeitslosenrate? Wie viel kostet die Amerikaner ihr Gesundheitswesen, und wie viele fallen dennoch - unversichert oder unterversichert - durch das großmaschige Netz in den finanziellen Ruin oder ins Grab? Wie viele Menschen werden im Irak, in Afghanistan und anderswo auf der Welt Tag um Tag von islamistischen Terroristen ermordet, und wie viele amerikanische Soldaten verlieren im Kampf gegen die Gesinnungsmörder ihr Leben?
Obama hat seit seinem Amtsantritt am 20. Januar etwa 120 Reden gehalten - vor allem längere, vor kleinem und vor großem Publikum, für Radio, Fernsehen und Internet. Seine vorerst letzte monumentale Rede war jene zur heftig umkämpften Gesundheitsreform vom Mittwoch vor beiden Kammern des Kongresses; gewöhnlich wenden sich amerikanische Präsidenten nur im Januar mit ihrer "Rede zur Lage der Nation" an die im Plenum des Repräsentantenhauses versammelten Abgeordneten und Senatoren. Und auch seither hat Obama nicht geschwiegen: Bis zum Wochenende kamen Reden bei Gewerkschaftsversammlungen und Demonstrationen hinzu. Bald wird auch die ganze Welt - beim G-20-Gipfel in Pittsburgh und bei der UN-Vollversammlung in New York - noch mehr von Obama hören.
Mancher fragt sich, ob der Präsident vor lauter Reden auch noch zum Regieren kommt. Und mancher glaubt, er habe auch nach der Abreise von George W. Bush aus der Hauptstadt mehr vom Kandidaten Obama gesehen und gehört als vom Präsidenten Obama. >>> Von Matthias Rüb, Washington | Samstag, 12. September 2009