WELT AM SONNTAG: Im Iran hat es bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei erneut Verletzte gegeben. Mit Sorge schaut Abolhassan Banisadr, der erste Präsident der Islamischen Republik, auf sein Land. Das Regime habe dem Volk den Krieg erklärt, sagt er. Einen Sturz der Führung hält er jedoch für möglich.
Er war ein Vordenker der "islamischen Revolution" im Iran 1979. Der Ökonom und Theologe Abolhassan Banisadr, 76, lernte Ayatollah Khomeini in Paris kennen und wurde 1980 der erste Präsident der Islamischen Republik Iran. Weil er gegen die massenhaften Hinrichtungen im Zuge der Revolution protestierte, wurde er 1981 abgesetzt. Er lebt unter Polizeischutz in Paris.
Welt am Sonntag: Herr Banisadr, was halten Sie von der Rede des Revolutionsführers Ali Chamenei an die Iraner beim Freitagsgebet?
Abolhassan Banisadr: : Das war eine Kriegserklärung - gegen einen Teil des Systems und gegen die Bevölkerung. Chamenei hat die Bevölkerung gewarnt, auf die Straße zu gehen. Und er hat mit Konsequenzen gedroht, wenn Mussawi und die Seinen die Proteste nicht beenden. Ex-Premierminister Mussawi ist Teil des Systems, das hat Chamenei selbst betont. Aber damit hat der Revolutionsführer auch zugegeben, dass es einen Bruch innerhalb des Systems gibt. Dass es einen Bruch zwischen Herrschenden und Volk gibt. Er hat die Frage nach dem Fortbestand der Islamischen Republik gestellt. Das ist eine sehr gefährliche Frage für Chamenei.
Welt am Sonntag: : Glauben Sie also, dass der Sturz des Regimes bevorsteht?
Banisadr: : Das kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Ich bin sicher, dass das Volk die Proteste fortsetzen wird. Mehr Sorgen mache ich mir um Herrn Mussawi. Wenn er Chameneis Drohung nachgibt, dann wird der Bruch zwischen System und Volk endgültig. Dann wird es langfristig noch mehr Gewalt geben, weil die Unterdrückung sehr viel brutaler werden wird. Wenn Mussawi nicht einknickt, wird der Übergang zur Demokratie wesentlich beschleunigt.
Welt am Sonntag: : Wen repräsentiert Mussawi?
Banisadr: : Diejenigen am Rande des Regimes, die nicht direkt an der Macht beteiligt sind und immer geglaubt haben, das System sei reformierbar. Das sind auch die meisten Mullahs in Qom. Die großen Kleriker, die Weggefährten Khomeinis, haben alle Mussawi gewählt.
Welt am Sonntag: : Was meinen Sie als einer der Väter dieses Systems: Ist es reformierbar?
Banisadr: : Letztlich nicht. Weil die Islamische Republik vollkommen auf die Person des Revolutionsführer ausgerichtet ist. Die Macht müsste sich selbst demontieren.
Welt am Sonntag: : Mit ihren Parolen und den Liedern beschwören die Demonstranten Parallelen zur islamischen Revolution von 1979. Sehen Sie die auch?
Banisadr: : Das Schah-Regime war viel schwächer als Chamenei heute. Und das Bewusstsein, dass es beseitigt werden muss, war viel allgemeiner. Was wir heute sehen, ist erst der Anfang einer Revolution. >>> Von Daniel-Dylan Böhmer | Sonntag, 21. Juni 2009