DIE PRESSE: Wenn der vermeintlich rücksichtsvolle Sprachgebrauch auch auf „falsche“ und „richtige“ Inhalte ausgedehnt wird, wird die politische Korrektheit zu ihrer eigenen Bedrohung und zu einer Gefahr für die Meinungsfreiheit.
Nennt mich nicht Nigger“ hieß ein Titel, der in den Fünfzigerjahren in einer Taschenbuch-Reihe des katholischen Herder-Verlags erschienen ist. Der jugendliche Leser, der ich damals war, bekam eine erste Lektion davon, was später als „politische Korrektheit“ um die Welt gehen und zu einer wichtigen intellektuellen Bewegung werden sollte. PC, wie die unterdessen gängige Abkürzung dafür heißt, kommt aus den USA, wo in einer multiethnischen Gesellschaft verschiedene Gruppen um Anerkennung und Repräsentation kämpfen. Um den traditionell Benachteiligten unter ihnen zu helfen, wurden zunächst praktische Gleichstellungsmaßnahmen durch „affirmative action“ („positive Diskriminierung“) geschaffen, vor allem Quotensysteme im Erziehungssystem und bei der Postenvergabe.
Als diese nicht ausreichend erschienen, der Diskriminierung von Minderheiten durch die Mehrheitskultur wirksam zu begegnen, entwickelte sich vor allem in der akademischen Welt der Ost- und Westküste ein weit verzweigtes System der vermeintlichen Rücksicht auf Empfindlichkeiten von Minderheiten und Außenseitern durch sprachliche Wendungen. Es sollte nicht mehr der weiße, heterosexuelle, dem anglosächsischen Kulturkreis zugehörige Mann das Maß der Dinge sein. „Kaukasisch“ lautet die ebenfalls dem Geist der PC entsprungene Bezeichnung für diese Welt.
Diskriminierung in beide Richtungen
Verständlich, dass vor allem die Schwarzen in den USA als die Gruppe ausgemacht wurde, die am meisten der politischen Correctness bedarf. Das verächtlich gebrauchte Wort „Nigger“ und auch „Negro“, das ein Lehnwort aus dem Spanischen ist, wurden zunächst durch „black“ ersetzt. Aber auch dieser Hinweis auf die Hautfarbe schien diskriminierend, sodass sich heute im offiziösen Gebrauch das gestelzte „afro-american“ durchgesetzt hat. In der Umgangssprache oder in den Zeitungen kann man nach wie vor des „black man“ nicht entraten. Man stelle sich eine Reportage über Barack Obama vor, in der es immer heißt, er habe „einen afroamerikanischen Vater und eine kaukasische Mutter“. Dass die Diskriminierung auch umgekehrt wirken kann, beweist übrigens auch Obama, der als schwarzer Angehöriger der in Elite-Universitäten erzogenen Oberschicht sich verächtlich über die weiße Unterschicht äußerte. Die politische Korrektheit ist politisch nicht korrekt >>> | 11.6.2008
The Dawning of a New Dark Age (Taschenbuch)
The Dawning of a New Dark Age (Gebundene Ausgabe)