NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: Im Ausland gilt Präsident Wolodimir Selenski als Symbol des ukrainischen Widerstands. Doch im eigenen Land war er vor dem Krieg nicht sonderlich populär. Das hat Gründe, die im jetzigen Rummel um seine Person meist vergessengehen.
Als der damals 41-jährige Wolodimir Selenski im April 2019 das Präsidentenamt in der Ukraine errang, nahm die westliche Öffentlichkeit nur vorübergehend Notiz. Die Tatsache, dass ein Komiker die Wahl gewann, sorgte für Stirnrunzeln und Belustigung, aber das Land verschwand bald aus den Schlagzeilen. In westlichen Hauptstädten hätte man lieber mit dem bisherigen Präsidenten Petro Poroschenko weitergearbeitet. Dieser galt als verlässliche Grösse. So gern der Westen über Demokratieförderung in Reformländern spricht – wenn der Volkswille dann einen unerfahrenen Populisten an die Macht bringt, wird leer geschluckt.
Missglückter Start
So blieb es um den vom Ausland skeptisch beurteilten Selenski monatelang ruhig, bis er überraschend wieder im Rampenlicht stand – diesmal als tragische Figur. Die Ukraine-Affäre des damaligen amerikanischen Präsidenten Donald Trump warf ein Schlaglicht darauf, in welche Klemme Selenski gleich zu Beginn seiner Amtszeit geraten war. Trump erpresste ihn, … » | Andreas Rüesch | Montag, 2. Mai 2022