Sunday, January 30, 2022

60 Jahre Minirock: Die Geschichte eines Kulturkampfes in der Mode

JUBILÄUMSSCHRIFT

NZZ Bellevue: Vor sechzig Jahren schnitt eine britische Designerin namens Mary Quant alte Röcke kürzer – und noch kürzer. Danach war die Modewelt nie mehr dieselbe.

Ihren ersten politischen Skandal löste die ehemalige deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit 14 Jahren aus. Die fleissige Angela Dorothea, Mädchenname Kasner, hatte alle russischen Sprachwettbewerbe der DDR gewonnen und durfte 1969 mit dem Freundschaftszug in die Sowjetunion reisen. Dort stand Kasi, wie Freundinnen sie nannten, dann matt lächelnd vor einem Mahnmal für gefallene Soldaten – im Minirock. Die Gastgeber waren empört.

Und jetzt? UdSSR und DDR sind passé; die Frau, die 16 Jahre lang in Deutschland vorwiegend die Hosen anhatte, ist passé; Frauen empören inzwischen oben ohne – der Minirock aber wird gerade neu aufgelegt. Aber sind wir aus diesem eigenartigen Fummel und seiner Statementfunktion nicht längst herausgewachsen?

Das knappe Stück Stoff, das Ende der sechziger Jahre aus Grossbritannien zusammen mit Beatmusik, Pilzköpfen und anderen Schamlosigkeiten auch durch den Eisernen Vorhang schlüpfte, erregte weltweit die Gemüter. Mode spiegelt ja immer auch den Zeitgeist, grassierende Stimmungen, sich anbahnende Umschwünge, sie kann hochpolitisch werden. Und die steife britische Klassen- und Kleiderordnung eignete sich schon immer für gesellschaftliche und modische Revolutionen. In den Swinging Sixties wurde der Mini Mainstream und ein Politikum » | Pauline Krätzig | Samstag, 29. Januar 2022