SPIEGEL ONLINE: Ungarn droht der Staatsbankrott, gleichzeitig driftet das Land massiv nach rechts. Jetzt leitet die EU ein Verfahren gegen Budapest ein - weil sie um die Demokratie fürchtet. Doch das Problem ist viel größer: Auch im übrigen Osteuropa sind Populisten und Nationalisten auf dem Vormarsch.
Nur anderthalb Jahre hat Viktor Orbán gebraucht. In dieser kurzen Zeit ist es dem ungarischen Regierungschef gelungen, sein Land umzukrempeln. Bürgerrechte und Pressefreiheit wurden eingeschränkt, die demokratische Gewaltenteilung ausgehebelt, eine Verfassung im Geiste des autoritär-nationalistischen Horthy-Regimes der Zwischenkriegszeit verabschiedet. Ungarn ist in der EU derzeit politisch isoliert und steht am Rand des Staatsbankrotts. Nun hat auch noch die EU-Kommission Klage eingereicht. Brüssel hält die Verfassungsreform Orbáns für einen Verstoß gegen EU-Recht - und droht damit, dem finanziell schwer angeschlagenen Land keine Hilfsgelder zu bewilligen. Eine bemerkenswerte Entwicklung für das frühere Modell- und Musterreformland, an dem sich andere Staaten der Region viele Jahre orientiert hatten.
Orbán selbst, einst ein vielbewunderter Politiker, gilt inzwischen als obskure Mischung aus Wladimir Putin und Hugo Chávez. Doch der kleine Mann aus dem kleinen nordwestungarischen Dorf Alcsútdoboz ist keineswegs nur ein Kuriosum. Orbán und sein Ungarn stehen vielmehr für das, was sich in großen Teilen Mittel- und Südosteuropas abspielt.
Im Schatten der Euro-Krise braut sich dort Gefährliches zusammen. Die Folgen der für Osteuropa so verheerenden globalen Finanzkrisevon 2008 sind kaum richtig ausgestanden, da geraten erneut immer mehr Länder der Region in eine finanzielle und ökonomische Schieflage, kämpfen mit ausufernden Schulden und hohen Haushaltsdefiziten, mit Rezession und Arbeitslosigkeit.
Aber nicht nur die fragilen Ökonomien der Region sind noch immer oder schon wieder bedroht. Viele Länder Mittel- und Südosteuropas finden auch nicht zu politischer und sozialer Stabilität. Die osteuropäischen Gesellschaften haben zwei Jahrzehnte ununterbrochener Reformen und harter Austeritätspolitik hinter sich. Nun sind die allermeisten Menschen in der Region zutiefst erschöpft, Demokratiemüdigkeit, Euro-Skeptizimus und Abneigung gegen den einst vergötterten Westen wachsen erschreckend schnell.
"In vielerlei Hinsicht läuft in Osteuropa ein ähnlicher Prozess der Desillusionierung ab wie im Sozialismus der siebziger und achtziger Jahre", sagt der ungarische Wirtschaftswissenschaftler und Publizist László Lengyel. "Die Gefahr dabei ist, dass ganze Gesellschaftsschichten oder Regionen wie Ostpolen, die Ostslowakei und Ostungarn der Hoffnungslosigkeit und dem Extremismus zum Opfer fallen." » | Von Keno Verseck | Dienstag 17. Januar 2012
SPIEGEL ONLINE INTERNATIONAL: EU Takes Legal Action Against Hungary: The European Commission has launched legal proceedings against Hungary, accusing it of breaching EU treaties with laws that undermine the independence of the justice system and central bank. The case could delay the payment of international aid needed to shore up Hungary's economy. » | cro -- wth wire reports | Tuesday, January 17, 2012